Stream mir das Lied vom (Klima-) Tod

Unser Medienkonsum hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Musste man früher noch in die nächste Videothek, um einen Film auszuleihen oder ins Medienkaufhaus, um eine CD zu kaufen, können wir uns heute nahezu alles digital in unser Heim holen. Flüchtig als Stream und nicht mehr haptisch als CD, DVD oder Blu-ray. Sky, Amazon, Netflix, Youtube oder Spotify machen es möglich. Nicht zu vergessen, der großen Treiber des Internets: die Pornografie. Wenige Klicks genügen, ein Abo bei den Bezahldiensten vorausgesetzt und das Entertainment oder die Erotik kommt zu uns und nicht mehr wir zu ihnen. Video dominiert bei der Nutzung des Internets.

Abbildung aus der Shift Studie, Herkunft der Datenströme in 2018 auf der Welt

Heiß, heiß Baby

Das Ganze hat aber auch Schattenseiten und das ist der Energiehunger dieser Dienste. Die Daten für die Filme, Musik, den Livesport oder Sexfilm lagern in Rechenzentren und diese verbrauchen viel Energie. Jeder Server ist wie eine kleine Heizung. Es hat durchaus seinen Grund, warum einige der Internetgiganten Rechenzentren in kühlere Regionen Europas wie Schweden oder Finnland verlegen.

Zwar rühmen sich etliche der Unternehmen, die solche Rechenzentren betreiben, dass sie ihren Strom aus regenerativen Energiequellen beziehen, aber eben nur ein Teil. Man schätzt, dass allein die Rechenzentren in den USA zum Betrieb über 50 mittelgroße Kraftwerke brauchen. Und was nützt es, wenn zwar das Rechenzentrum CO2 freundlich betrieben wird, die Datenpakete auf dem Weg zum Konsumenten viele Stationen (Knoten) benötigen, die dabei nicht klimaneutral betrieben werden? Und wie schaut der Strommix beim Konsumenten aus?

Wie könnt ihr es wagen?

Statt Flugscham wäre eigentlich Internetscham oder Streamscham angesagt, denn nach Berechnungen von Theshiftproject stehen die digitalen Technologien für mehr als 4% der Treibhausgasmissionen. Diese Zahl teilt sich in 45% für die Nutzung und 55% für die Herstellung der Geräte. Das ist mehr als die zivile Luftfahrt erzeugt. Aber, genau das Gegenteil passiert. Streaming wächst unaufhörlich, die Internetnutzung wächst ebenfalls, sie macht nach der Analyse aber nur 20% des Traffics aus, der Rest ist Video-Traffic. Ein Video zu dem Thema von Theshiftproject klärt auch auf, dass allein dieses Video 8,7 Gramm CO2 durch das Anschauen erzeugt.

Es mutet fast etwas absurd an, dass beim „Demokratie-Event“ am 12.06.2020 im Berliner Olympiastadion per Handy Petitionen am laufenden Band verabschiedet werden sollen. Auf dem Mobiltelefon versteht sich, mit allen Konsequenzen, die das für die Erzeugung von zusätzlichem CO2 hat.

Genauso schräg ist die Tatsache, dass das berühmte Rezo-Video auf einer Streamingplattform zu Ehren kam. Mangelnden Klimaschutz beklagen und gleichzeitig für Emissionen sorgen, ja das geht. Rezo hat es aktiv vorgelebt und dabei noch elegant den schwarzen Peter einer Partei zugeschoben. Auf die Idee, dass er Teil des Problems ist, kommt/kam er nicht.

Dabei dürfte sein Video pro Aufruf fast 200 Gramm CO2 erzeugt haben. Das macht dann für die gesamten 16 Millionen Aufrufe 3.300 Tonnen zusätzliches CO2. Ein Satiremagazin witzelte einst über den Protestsong „ Aufstehen“ des österreichischen Liedermachers Georg Danzer: Alle, die gegen Aufstehen sind, sollen aufstehen. Genau das wird in Sachen Internetnutzung und Streaming aktiv gelebt. How dare you?

Verzichten sollen bitte andere

Man möchte vor allem diejenigen Jugendlichen fragen, die sich z. B. bei Friday for Future (FFF) für das Klima engagieren, ob sie bereit wären auf bequeme Services aus dem Internet zu verzichten, die dank Smartphone immer am Mann oder der Frau sind. Zumal, anders als beim Reisen, Alternativen nur schwerlich möglich sind. Da kann statt des Autos die Bahn genutzt werden oder im extremen Fall ein Segelboot statt eines Flugzeugs, beim Smartphone und Internet gibt es das nicht. Da heißt es entweder oder. Wer ist bereit, sein Leben für das Klima derartig einzuschränken?

Es ist einer der zahlreichen Paradoxien wie der Anstieg von Kreuzfahrten, der Zunahme von Flugreisen und den Absatzrekorden bei der Zulassung von SUVs obwohl beinahe täglich auf uns medial eintrommelt, wie schädlich das doch alles für das Klima wäre. Von daher ist es fast etwas tröstlich, dass auch diese paradoxe Haltung selbst bei denjenigen herrscht, die doch eigentlich alles besser machen wollen. Das Problem soll dann aber bitte der Staat oder eine Regierung lösen, allemal bequemer, als bei sich selbst anzufangen. Klimaschützer sind halt auch nur Menschen, die es wagen konnten.

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