Dieter Nuhr: Ich folge nicht nur der Klimawissenschaft, sondern auch der Wirtschaftswissenschaft und der Geschichtswissenschaft

Dieter Nuhr findet im Jahresrückblick 2019 die richtigen Worte und setzt die Klimafrage in einen dringend benötigten Kontext. Das Video können Sie noch bis zum 20. März 2020 in der ARD-Mediathek anschauen. Das Thema Greta beginnt ab Minute 53:00. Um Dieter Nuhrs Gedanken auch über den März 2020 hinaus zu konservieren, bringen wir hier eine Transkription einer ausgewählten Passage:

Ich bin froh, dass es Greta gibt, und das meine ich völlig ohne Ironie. Sie war nicht nur für das Time Magazine, sondern auch für mich die Person des Jahres. Niemand hat diesem Jahr mehr seinen Stempel aufgedrückt- und das war gut so. Ich finde gut – und das habe ich immer so gesagt – dass ihr Thema jetzt endlich die Öffentlichkeit bekommt, die es verdient. Der Klimawandel ist das Problem der nächsten Jahre und Jahrzehnte und Greta sagt, folgt der Wissenschaft.

Das tue ich, und ich folge nicht nur der Klimawissenschaft, sondern auch der Wirtschaftswissenschaft und der Geschichtswissenschaft. Und diese Wissenschaften sagen mir, wenn wir das tun, was unsere Klimaaktivisten fordern, nämlich nicht weniger als die Abschaffung des globalisierten Welthandels, dann wird die Weltwirtschaft in eine Krise fallen, die Milliarden Menschen zurückwirft in die Armut. Und das werden die sich nicht gefallen lassen, denn dann kommt bei denen der Hunger zurück. Und ja, natürlich wird es dann auch Kriege geben um Ressourcen, um Nutzungsrechte, wenn wir Milliarden Menschen ihren frisch gewordenen Wohlstand wieder wegnehmen.

Und auch wenn jetzt alle sagen, der Klimagipfel hat zu wenig eingebracht. Im nächsten Jahr wird weiterverhandelt. Auch auf der europäischen Ebene wird jetzt gearbeitet, Europa soll der erste CO2 freie Kontinent werden. Ja, vage Ankündigungen – egal, ein Anfang. Einen anderen Weg haben wir nicht. In einer Welt mit 7,5 Mrd. Menschen liegt die Zukunft nicht in dörflicher Idylle oder auf dem Segelschiff.

‘How dare you’ hat Greta gefragt. Wie konntet ihr mir so eine Welt hinterlassen? Mich um meine Kindheit betrügen hat sie gefragt. Ich hätte es angemessener gefunden, wenn diese Frage ein 9 Jähriger gestellt hätte, der in Bolivien in einer Wolfram-Mine arbeitet. Aber egal. ‚How dare you‘ hat sie gefragt, das darf sie, die ist 16. Die darf auch wütend sein, aber was mich aufgeregt hat, das waren Hunderte greise Trottel in der UNO die offenbar zu blöd waren, ihr diese Frage zu beantworten. Warum wir es gewagt haben? Das ist doch ganz einfach. Dass die Welt so ist wie sie heute ist, das haben nicht wir gemacht, wer soll denn das überhaupt sein dieser „Wir“?

Niemand hat die Welt einfach hier so aufgestellt. Sie hat sich entwickelt über Jahrhunderte. Ein extrem komplexer Vorgang, an dem Milliarden von Menschen mit unterschiedlichsten Interessen beteiligt waren. Diesen Vorgang nennt man Geschichte. Vor 300 Jahren gab es die erste Dampfmaschine, dann kann die Industrialisierung und niemand wusste damals, wo das mal endet. Und jetzt steht da eine unfassbar vernetzte Weltwirtschaft, die neben großen Problemen auch immerhin Gesundheit, eine verdoppelte Lebenserwartung und Wohlstand für Milliarden erzeugt hat.

Das können wir nicht einfach abschalten weil uns hier sonst die halbe Menschheit verreckt. Deshalb wagen wir es. Deswegen wagen wir es weiter, irgendwie in die Zukunft zu stolpern, weil die Menschen in Vietnam eben andere Vorstellungen von der Zukunft haben als die Menschen in Brasilien oder in der Schweiz. Es gibt kein „Wir“. Wer soll das sein?

Und deshalb müssen wir uns mit all den anderen so müheselig einigen, mit all den faulen Kompromissen, die dazu gehören, damit nicht wieder alles in einem großen Knall endet. Wir haben eine große Aufgabe vor uns und das wird nicht leicht. Keine Generation hat es jemals leicht gehabt außer meiner vielleicht. Aber alle andere nicht, die mussten aufbauen und dann kam Krieg und Wiederaufbau. Dann muss umgebaut werden. Und es ist gut, dass sich die nächste Generation um die Zukunft sorgt. Aber die Zukunft zu verbieten wird nicht ausreichen. Am Ende werden es nicht die Verhinderer sein, die die Zukunft bauen sondern die, die Neues schaffen. Wir werden uns wieder neu erfinden müssen und das werden nicht die tun, die im Weg stehen sondern die, die neue Wege bauen. Frohes neues Jahr.

Wir wünschen allen Bloglesern einen Guten Rutsch und ein gesundes Frohes Neues Jahr!

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