Mitte Mai 2013 hat das Umweltbundesamt (UBA) eine layout-technisch professionell durchgestylte neue Broschüre mit dem Titel „Und sie erwärmt sich doch“ herausgegeben, in der die Behörde mit Journalisten und Wissenschaftlern abrechnet, die einen menschengemachten katastrophalen Klimawandel für nicht erwiesen halten. Noch vor wenigen Jahren hätte das UBA für ein solches Heft wohl vermutlich eher anerkennendes Schulterklopfen geerntet. Die Klimawissenschaften haben sich jedoch seitdem merklich weiterentwickelt. Heute ist klar, dass sich die Natur nicht an das simple CO2-zentrierte Katastrophenmodell hält und die Rolle natürlicher Klimafaktoren signifikant unterschätzt wurde. Das Echo auf die wissenschaftlich unausgewogene UBA-Broschüre fiel entsprechend deutlich aus: Fach- und Medienwelt sind entsetzt. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass dieser Fauxpas für UBA-Leitung und Autoren möglicherweise unangenehme Folgen haben könnte. Mittlerweile hat sich die Empörung über den Skandal bereits so weit gesteigert, dass sich sogar die ansonsten eher IPCC-nahe heute-Redaktion des ZDF auf ihrer Webseite mit dem UBA-Pamphlet kritisch auseinandersetzte:
Das Dokument vergreift sich dabei im Ton – und in der Sache, meint Reinhard Schlieker. In seiner neuen Broschüre, deren Autor die Behörde verschweigt (Impressum: „Fachgebiet I 2.1 – Klimaschutz“) führt das Amt Fragen und Antworten zum Klimaschutz auf, etwa: „Wie kann man überhaupt das Klima vorhersagen, wenn schon eine Wettervorhersage für zwei Wochen im Voraus nicht stimmt?“, oder „Ist ein wärmeres Klima nicht generell von Vorteil?“. Alle diese Fragen werden dahingehend beantwortet, dass die Standpunkte der etablierten Klimaforscher bestätigt werden (Klimavorhersage ist natürlich etwas anderes als Wettervorhersage, und ein wärmeres Klima ist natürlich nicht von Vorteil, sondern führt zu Katastrophen und zum Aussterben ganzer Arten). Kurz: Die menschengemachte Erwärmung ist eine Tatsache, punktum. „Und sie erwärmt sich doch“ – ein Titel, der wohl an Galileo Galilei erinnern soll: Große Fußstapfen für eine simple Behörde. Der Titel ist Programm. Das Umweltbundesamt hat sich auf seine Wahrheit festgelegt.
Mit den klimawissenschaftlichen Thesen des UBA haben wir uns bereits ausführlich in einem früheren Blogbeitrag zu einer ähnlichen UBA-Vorgängerbroschüre mit dem Titel „Sonne, Treibhausgase, Aerosole, Vulkanausbrüche – gibt es einen Favoriten bei den Klimaänderungen?“ auseinandergesetzt (siehe unseren Blogbeitrag „Einseitiges Klima im Umweltbundesamt: Was steckt dahinter?„). Bereits damals wurde klar, dass die Behörde unbequeme Fakten im Zweifelsfall ignoriert und den Lesern wichtige Zusammenhänge vorenthält, wohl um die eigene Argumentation zu stützen. Um Duplikationen zu vermeiden, wollen wir uns daher in dieser Besprechung auf Kapitel 5 „Klimawandelskeptiker in Deutschland“ der neuen Broschüre konzentrieren, das auf Seite 111 beginnt (das pdf des Heftes ist übrigens kostenfrei auf der UBA-Homepage herunterladbar).
Bereits die Begrifflichkeit der Kapitelüberschrift ist falsch: Die angeblichen „Klimawandelskeptiker“ bezweifeln nämlich gar nicht, dass sich das Klima wandelt. Und sie bezweifeln in der Regel noch nicht einmal, dass es einen menschengemachten Anteil am Klimawandel gibt. Besser würde hier daher der Begriff „Klimarealist“ passen, da es hier vor allem um Gedanken zur quantitativen Aufteilung der verschiedenen anthropogenen und natürlichen Klimatreiber im Klimamix geht. Grundlage hierfür sind zahlreiche paläoklimatische sowie physikochemische Daten aus der reichen Flut an neuen Studie zu diesem Thema. Eine solch differenzierte Betrachtungsweise passt jedoch offenbar nicht in das grobe Schwarz-Weiß-Muster, das sich in das deutsche klimawissenschaftliche Establishment in den letzten Jahren eingeschlichen hat. Für die polarisierte UBA-Sichtweise werden auf jeden Fall keine wissenschaflichen Graustufen benötigt (UBA S. 111, Fettsetzung ergänzt):
„Beck 2010 weist darauf hin, dass sich in der Bundesrepublik beispielsweise bereits ab Mitte der 1980er Jahre durch die Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages ein breiter Konsens darüber herausgebildet hat, dass der Klimawandel bereits stattfindet, katastrophale Folgen haben wird und sofort und umfassend gehandelt werden muss.“
Die Katastrophe ist also schon lange beschlossene Sache. Das wundert wenig, war doch der heutige UBA-Präsident Jochen Flasbarth von 1992-2003 hauptamtlicher Präsident des der Klimakatastrophe zugeneigten Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und forderte 2009 für die Mitte des 21. Jahrhunderts gar ein „CO2-freies Deutschland“. Da ist es egal, dass die aktuelle Forschung dies mittlerweile ganz anders sieht. Auf der gleichen Seite der Broschüre beginnt dann eine ‚Schwarze Liste‘ mit Namen von prominenten „Klimawandelskeptikern“ in Deutschland, die (O-Ton UBA:) „hierzulande Zweifel verbreiten.“ Gleich an Nummer zwei auf der Liste erscheinen die Autoren des Buches „Die kalte Sonne„, Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning. Was haben wir uns zuschulden kommen lassen, dass man unser Buch von Staats wegen als wissenschaftliche unsittliche Literatur brandmarkt? In der UBA-Broschüre wird es dankenswerterweise erläutert:
„Die beiden Autoren stellen grundlegende Erkenntnisse der Klimaforschung in Frage. In erster Linie machen sie natürliche Ursachen wie die schwankende Strahlungsintensität der Sonne für die globale Erwärmung in den letzten Jahrzehnten verantwortlich.“
Ja, das ist ja ungeheuerlich. Jeder sollte doch eigentlich wissen, dass man in der Wissenschaft niemals „grundlegende Erkenntnisse in Frage stellen“ sollte. Alfred Wegener kann ein Lied davon singen. Der Vater der Kontinentaldrift hatte damals den Aufstand gewagt und dafür auch prompt die Quittung in Form von wissenschaftlicher Erniedrigung und Karrierebremsen bekommen. Hätte er damals als Meteorologe nicht die Courage gehabt gegen das geologische Establishment aufzubegehren, wer weiß ob die Erdplatten vielleicht noch heute unbeweglich vor sich hindämmern würden (siehe unseren Blogartikel „Kontinentalverschiebung und Klimawandel: Die wundersame Wiederholung der Wissenschaftsgeschichte„).
Was ist aus den Thesen der kalten Sonne geworden, gut ein Jahr nach Veröffentlichung des ketzerischen Werkes? Die Überprüfung fördert Überraschendes zutage: Vahrenholt/Lüning hatten damals über Hinweise geschrieben, dass die CO2-Klimasensitivität wohl deutlich geringer ausfällt als vom IPCC angenommen. Und in der Tat, die Wissenschaft scheint momentan genau diese These zu bestätigen. Im Monatstakt erscheinen derzeit neue Publikationen in begutachteten Fachzeitschriften, in denen von Klimasensitivitäten ausgegangen wird, die zum Teil nur halb so hoch sind wie die in den IPCC-Modellen (siehe unseren Blogbeitrag „Hinweise auf eine niedrigere CO2-Klimasensitivität verdichten sich: Drei neue Arbeiten erteilen den IPCC-Katastrophenszenarien eine Absage„).
Eine weitere These im vom UBA als fehlerhaft dargestellten Vahrenholt/Lüning Buch war, dass ein signifikanter Anteil der Erwärmung 1977-1998 auf das Wirken von Ozeanzyklen zurückgehen soll. Auch diese These wurde mittlerweile von der aktuellen Wissenschaft bestätigt (siehe unsere Blogartikel „Neue Arbeit in PNAS: 40% der Erwärmung der letzten 50 Jahre ist durch Ozeanzyklen bedingt“ und „Wu et al. 2011: Erwärmung im späten 20. Jahrhundert durch Ozeanzyklen verstärkt„).
Und dann wäre da noch die Sonne, die laut UBA angeblich so nahezu keine Klimawirkung haben soll. Das Geoforschungszentrum Potsdam widerspricht dem mittlerweile vehement (siehe unsere Blogbeiträge „Geoforschungszentrum Potsdam: Solarflaute vor 2800 Jahren löste Kälteperiode in Mitteleuropa aus“ und „GeoForschungsZentrum Potsdam mit neuer wegweisender Sonderpublikation zur Klimadebatte„).
Anstatt in der Broschüre diese neuen Entwicklungen anzuerkennen und eine fruchtbare wissenschaftliche Weiterentwicklung bestehender Modelle zu versuchen, werden die Autoren Vahrenholt/Lüning vom UBA lieber persönlich diffamiert (S. 112):
Es ist deshalb für – zudem fachfremde – Einzelpersonen kaum möglich, sich neben einer andersgearteten hauptberuflichen Tätigkeit tiefgründig in „verschiedene Klimamodelle“ einzuarbeiten.
Fachfremd? Vahrenholt ist promovierter Chemiker, und die Chemie ist integraler Bestandteil der stark interdisziplinären Klimawissenschaften. Lüning ist promovierter und habilitierter Geologe. Auch die Geologie ist bekanntlich einer der fachlichen Grundpfeiler der Klimawissenschaften. Würde man der fehlgeleiteten UBA-Argumentation folgen, müsste man auch Stefan Rahmstorf als „fachfremd“ ansehen, da er „nur“ Physik und Ozeanographie und eben nicht „Klimawissenschaften“ studiert hat. Das UBA stellt den Lesern dann Vahrenholts Lebenslauf vor, mit dem verborgenen Ziel, ihn als eine Art Öl-/Gas-/Kohlemanager aussehen zu lassen:
Fritz Vahrenholt promovierte im Fach Chemie, arbeitete von 1991 bis 1997 als Umweltsenator von Hamburg, war danach im Vorstand der Deutschen Shell AG und ist seit 2001 Manager des Energieversorgungskonzerns RWE.
Falsch! Vahrenholt hat 2001 das Windkraftunternehmen REpower gegründet, hat es zur Weltspitze in der Branche geführt und war bis 2008 Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. So viel grüne Energie passte dem UBA offenbar nicht in die Story. Daher verschweigt die Behörde ihren Lesern wohl auch, dass Vahrenholt’s Aufgabe bei Shell seinerzeit der Aufbau der Erneuerbaren Energien im Konzern war. In Vahrenholts Shell-Vorstandszeit fällt zum Beispiel der Bau der ersten Solarfabrik in Deutschland. Erst 2008 wurde Vahrenholt zum Geschäftsführer der von ihm mitgegründeten RWE Innogy ernannt, einer Gesellschaft für Erneuerbare Energien, die Jahr für Jahr der größte deutsche Investor in diesem Sektor war. Ebenfalls verschwiegen wurde eine andere pikante Einzelheit. Vahrenholt war nämlich von 1976 bis 1981 Fachgebietsleiter „Chemische Industrie“. Und zwar wo genau? Na klar, beim Umweltbundesamt!