Wissenschaftler warnen: Baumringe in kaltgemäßigten Klimazonen nur bedingt für Temperaturrekonstruktionen geeignet

Die Klimawissenschaften entwickeln sich immer weiter. Noch vor 15 Jahren setzte man guten Gewissens auf Sauerstoff- und Kohlenstoffisotope zur paläoklimatologischen Rekonstruktion, allerdings zeigte sich dann in der Folge, dass die Interpretation von Temperaturen und Niederschlägen über d18O und d13C viel komplexer ist als man angenommen hatte. Heute geht man hier deutlich vorsichtiger vor. Ein weiteres Beispiel sind Baumringe. Früher wagte man hier weitreichende Temperaturrekonstruktionen, während man heute wieder deutlich zurückrudert. Die Bedenken an der Methode kommen dabei aus der Community der Baumring-Forscher selber, ein tolles Beispiel für realistische Selbstkritik. Der Wunsch nach wissenschaftlichem Fortschritt ist offensichtich größer als persönliche Befindlichkeiten. Die Forscher sagen jetzt ganz offen, dass es ernstzunehmende Problem mit der Methodik gibt. Chapeau!

Aktuell kann man dies in einer neuen Studie in den Environmental Research Letters nachlesen, die dort am 18. Juli 2016 im Open Access-Format erschien. Leitautorin der Untersuchung ist Lena Hellmann, die das Thema zusammen mit 9 weiteren Kollegen bearbeitete. Das nüchterne Fazit ist in der Kurzfassung klar herausgestellt: Nicht alle Baumringe aus borealen Regionen eignen sich für die Rekonstruktion der Sommertemperaturen. Im Original:

By revealing complex climate constraints on the productivity of Eurasia’s northern forests, our results question the a priori suitability of boreal tree-ring width chronologies for reconstructing summer temperatures.

Im Folgenden der Abstract der Studie:

Diverse growth trends and climate responses across Eurasia’s boreal forest
The area covered by boreal forests accounts for ~16% of the global and 22% of the Northern Hemisphere landmass. Changes in the productivity and functioning of this circumpolar biome not only have strong effects on species composition and diversity at regional to larger scales, but also on the Earth’s carbon cycle. Although temporal inconsistency in the response of tree growth to temperature has been reported from some locations at the higher northern latitudes, a systematic dendroecological network assessment is still missing for most of the boreal zone. Here, we analyze the geographical patterns of changes in summer temperature and precipitation across northern Eurasia >60 °N since 1951 AD, as well as the growth trends and climate responses of 445 Pinus, Larix and Picea ring width chronologies in the same area and period. In contrast to widespread summer warming, fluctuations in precipitation and tree growth are spatially more diverse and overall less distinct. Although the influence of summer temperature on ring formation is increasing with latitude and distinct moisture effects are restricted to a few southern locations, growth sensitivity to June–July temperature variability is only significant at 16.6% of all sites (p ≤ 0.01). By revealing complex climate constraints on the productivity of Eurasia’s northern forests, our results question the a priori suitability of boreal tree-ring width chronologies for reconstructing summer temperatures. This study further emphasizes regional climate differences and their role on the dynamics of boreal ecosystems, and also underlines the importance of free data access to facilitate the compilation and evaluation of massively replicated and updated dendroecological networks.

Bei der Interpretation von Baumringen ist also verstärkte Vorsicht angeraten. Allerdings sollte man nun nicht den Fehler machen, alles und jedes anzuzweifeln, was auf Basis von Baumringen in der Vergangenheit gemacht wurde. Viele Baumring-Klimarekonstruktionen passen erstaunlich gut mit Paläoklimainformationen anderer Quellen. Ein aktuelles Beispiel beschrieb die WAZ am 17. Juli 2016:

Klimawandel in Baumscheiben aus Mülheim nachweisbar
Aus den Jahresringen lässt sich bekanntlich nicht nur das Alter des Baumes ablesen, sondern die Dicke der Ringe gibt auch Aufschluss über klimatische Schwankungen im Sauerland in den letzten 230 Jahren. Besonders markant ist die schwache Wachstumsperiode, die bei der Eiche von Gut Mülheim, nach zunächst zügigem Wachstum seit 1785, etwa 1802 einsetzte und bis 1856 andauerte, also rund ein halbes Jahrhundert währte. Was kann die Ursache hierfür gewesen sein? Während der letzten 1200 Jahre hat es in der nördlichen Hemisphäre drei klimatisch gut unterscheidbare Perioden gegeben: Eine warme Periode vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, die so genannte mittelalterliche Warmzeit. Zwischen 1200 und 1400 veränderte sich das Klima spürbar, und nach diesem Umschwung begann eine kühle Klimaepoche vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, die so genannte kleine Eiszeit. Ab dem 20. Jahrhundert begann dann wieder eine wärmere Phase. […] Die Kleine Eiszeit zeigt allerdings keinen homogenen Verlauf, sondern ist durch deutliche Schwankungen gekennzeichnet. Eine dieser Schwankungen ist das so genannte „Dalton-Minimum“, benannt nach dem englischen Forscher John Dalton, der die geringere Sonnenfleckenaktivität (ungefähr zwischen 1790 und 1830; in aktuelleren Forschungsberichten wird auch ein Zeitraum von 1818 bis 1858 genannt) für den Rückgang der Durchschnittstemperaturen um bis zu einem Grad verantwortlich machte.

Ganzen Artikel in der die WAZ lesen.

 

 

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