Wie Energiemangel damals unser Leben bestimmte

Von Reinhard Storz

Wenn heute junge Menschen gegen den Abbau von Kohle und für die Stilllegung von Kohlekraftwerken demonstrieren, erinnere ich mich an unser Leben im Winter 1946/47. Was die Träume dieser Demonstranten sind, möglichst schnell keinen Strom aus fossilen Brennstoffen zu erzeugen und sich stattdessen aus schwankenden Quellen wie Sonne und Wind versorgen zu lassen, bei denen es, ohne unendlich große Speicher die Billionen Euros kosten würden, zwangsweise zur Unterbrechung der Stromversorgung kommen würde, das verursacht bei mir Alpträume. Um das zu verstehen muss man die Situation kurz nach dem 2. Weltkrieg kennen, ich war damals 5 Jahre alt.

Situation im Winter 1946/47

Der Krieg war beendet. Deutschland hatte die Steinkohlereviere in Schlesien und im Saarland verloren. Die Bergwerke im Ruhrgebiet förderten wegen Kriegsschäden und fehlender Bergleute, die im Krieg als Soldaten umgekommen waren, geringere Kohlemengen als vor dem Krieg. Von dieser geringeren Förderung mußte noch ein Teil an die Siegermächte abgegeben werden. So blieb für die Deutschen nur ein kleiner Teil der Kohle. Diese wurde nicht nur benötigt, um Lokomotiven und Fabriken zu versorgen, auch die Beheizung der Wohnungen und die Herstellung von Stadtgas hing davon ab.

Ich lebte mit meiner Schwester und den Eltern im Hause meiner Großeltern in einem Hamburger Vorort. Wir hatten glücklicherweise Anschluss an das Strom- und Gasnetz. Aber das brachte auch keine wesentlichen Vorteile, denn entweder gab es wegen Abschaltungen keinen Strom oder kein Gas, weder Gas noch Strom und nur in seltenen Fällen sowohl Gas als auch Strom.

Wenn es vormittags Gas gab, wurde das zum Kochen des Mittagessens genutzt, um den knappen Brennstoff für den Kohleofen in der Küche zu sparen. Über dem Gasherd gab es eine Gaslaterne, die ebenfalls in Betrieb war. Nicht selten hörte ich die Mutter oder Großmutter schimpfen, weil das Gas plötzlich abgestellt wurde. Das halbgare Essen musste dann auf dem Kohleherd fertig gekocht werden. In den langen Zeiten ohne Strom und Gas saßen wir bei Kerzenlicht in der Küche.

Das Leben spielte sich fast ausschließlich in der Küche ab, da sie wegen Brennstoffmangel der einzige beheizte Raum im Hause war. Am Abend nutzte man die restliche Wärme des Kohleofens dazu, auf seiner Oberfläche und im Backofen Mauersteine zu erhitzen. Die wurden dann in Zeitungspapier und ein Handtuch eingewickelt und in die Betten gelegt, um diese vorzuwärmen, denn im Schlafzimmer herrschten an kalten Wintertagen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Mir ist noch in Erinnerung, wie ich an einem Morgen, als das elektrische Licht funktionierte, an der Außenwand etwas wie glitzernde Sterne sah. Das waren Eiskristalle, die sich auf der Tapete gebildet hatten. Aus dem Fenster konnte man tagsüber nur Helligkeit sehen, aber keine Details, da trotz Doppelfenster die Scheiben von einer milchigen Eisschicht bedeckt waren.

Es ist möglicherweise auch für Jugendliche verständlich, wenn Menschen in meinem Alter eine sichere Stromversorgung anders beurteilen als sie, die so etwas nie erleben mussten.

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