Ungewöhnliche nordamerikanische Hitzewellen-Serie: Vor 90 Jahren

The heat is on

Die Hitze im Nordwesten der USA und im Südwesten Kanadas macht den Einwohnern gerade sehr zu schaffen. Aber nicht nur dort, auch hierzulande scheint einigen die Hitze nicht zu bekommen. Dazu gehört Oliver Krischer von den Grünen, der Armin Laschet direkt für Hitzetote in Nordamerika verantwortlich machte, hinterher zwar wieder etwas zurückruderte, aber das Geschriebene keineswegs zurücknahm. Offenbar wusste Krischer nicht, wie hoch der Anteil Kanadas bei der Förderung von fossilen Energieträgern insbesondere Kohle ist.

Nun ordnet Björn Lomborg in USA Today die bedauerlichen Hitzetoten ein und betrachtet gleichzeitig die Toten durch Kälte. Ebenso bedauerlich, aber leider ungleich größer in der Zahl. Diese Toten finden medial allerdings kaum statt. Aber noch etwas beschreibt Lomborg. Es ist die Entwicklung von Hitzewellen in den USA. Momentan fangen nämlich viele Statistiken erst 1960 an. Sie lassen die Zeit davor schlicht aus, was aber sehr wichtige Daten komplett außen vorlässt. In den 1930er erlebten die USA nämlich deutlich dramatischere Hitzewellen. Das macht die jetzige Situation nicht besser, aber das Bild gerät in Schieflage, wenn mal eben 70 Jahre aus der Statistik ausgeblendet werden. Die Daten stammten von der EPA, der US-Umweltschutzbehörde.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Etwas anders dargestellt sieht die Entwicklung von 1900 – 2019 bzw. die Entwicklung ab 1960 nämlich so aus:

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Ein Blick in die Wikipedia bestätigt die Statistik. Etliche der Rekordwärmewerte aus verschiedenen Teilen der USA stammten tatsächlich aus den 1930er Jahren. Es geht Lomborg nicht um das Relativieren der Toten durch die aktuelle Hitzewelle.
Aber es ist dennoch wichtig solche Entwicklungen immer im großen Kontext zu sehen. Wir haben etwas Ähnliches Anfang 2020 gesehen, als es in Australien zu großen Busch- und Waldbränden kam. Auch damals hieß es sofort, dass so etwas noch nie dagewesen sei, was aber in dem Fall nicht stimmte. Roy Spencer von der University Huntsville Alabama ordnete es seinerzeit ein und die Zahlen zeigten ein etwas anderes Bild, was die verbrannte Fläche anging. 1974/75 war die Welt allerdings noch nicht so vernetzt wie heute. Wer weiß, welche Nachrichten ansonsten durch die sozialen Netzwerke gegangen wären?

(Abbildung: Screenshot Webseite drroyspencer.com)

Und noch etwas ist wichtig. Systeme auf der Erde haben die Tendenz sich auszugleichen. Wenn es also an einigen Stellen wärmer als im Mittel ist, dann gibt es fast immer Bereiche, bei denen es genau umgekehrt ist. Seit Kurzem bietet Ventusky die Übersicht der Temperatur-Anomalien. Man sieht sehr gut, dass Teile von Nordamerika unterdurchschnittliche Temperaturen aufweisen, nämlich alles, was blaue Farben hat. Die Ostküste der USA erlebt gerade historisch niedrige Juli-Temperaturen, mit Tageshöchstwerten von 16 Grad Celsius.

(Abbildung: Screenshot Ventusky)

Der Nordwesten Grönlands gehört ebenfalls dazu. Das führt zu einer ungewöhnlichen Situation bei der Eisschmelze, die normalerweise jetzt in vollem Gange sein müsste, wie die Mittelwertbetrachtung von Polarportal.dk zeigt. Ende Juni 2021 bzw. Anfang Juli 2021 bildet sich sogar Eismasse (surface mass balance, SMB).

(Abbildung: Screenshot Polarportal.dk)

Wer vermutet schon, dass die Abweichung auf die Welt bezogen aktuell bei plus 0,2 Grad Celsius liegt, im Vergleich zum Zeitraum 1979-2000, wie Climatereanalyzer am 02.07.2021 zeigt?

(Abbildung: Screenshot Climatereanalyer.org)

Der US-Meteorologe Ryan Maue vergleicht auf seiner Webseite ebenfalls die globalen Temperaturen. Er kommt für den Juni 2021 gegenüber dem Zeitraum 1991-2020 auf eine Anomalie von 0,18 Grad Celsius. Bei ihm verbrennt der Planet also ebenfalls nicht.

(Abbildung: Screenshot Climatlas.com)

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Frankfurt University of Applied Sciences:

Open-Data hilft beim Erreichen der Klimaschutzziele

Land Hessen und EU fördern Forschungsprojekt der Frankfurt UAS zu Windkraft- und Solarstandorten mit 664.969 Euro

Wo gibt es den besten Ertrag aus Windkraft- und Solaranlagen? Diese Frage ist für eine möglichst optimale Nutzung der gewonnenen Energie entscheidend bei der Standortwahl. Forscherinnen und Forscher der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) haben dafür ein „digitales Werkzeug“ entwickelt, um EU-weit die ertragreichsten Standorte für Windkraft- und Solaranlagen zu identifizieren. Das Land Hessen fördert das Projekt mit dem Namen Computer-Aided Renewable Energy Language (CAREL) mit 395.509 Euro aus dem Programm Distr@l, ergänzt um eine Kofinanzierung von 269.460 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus hat heute den Zuwendungsbescheid an Prof. Dr. Martina Klärle und Prof. Dr.-Ing. Robert Seuß von der Frankfurt UAS virtuell überreicht.

„Sie leisten mit ihrem Projekt einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele. Denn nur innovative und wegweisende Lösungen helfen uns, den unbestritten notwendigen Weg in Richtung Klimaneutralität zu gehen“, sagte Sinemus. „Gleichzeitig leisten Sie mit dem Projekt CAREL einen entscheidenden Beitrag zur digitalen Transformation und eröffnen Möglichkeiten über die Landesgrenzen hinaus.“

Grundlage für das Projekt sind schon vorhandene Geodaten, die erstmals durch die seit 2021 europaweit harmonisierten Geodaten (INSPIRE-Richtlinie) zur Verfügung stehen. Diese werden mit bereits entwickelten Open-Source-Algorithmen der Frankfurt UAS für die Identifikation der regional ertragsreichsten Wind- und Solarstandorte verbunden. Projektleiterin von CAREL ist Prof. Dr. Martina Klärle, Vizepräsidentin für Forschung und Lehre an der Frankfurt UAS. Sie hat weitreichende praktische Erfahrungen in der automatisierten Berechnung des Solarpotenzials für große zusammenhängende Regionen und hat das erste flächendeckende Solarpotenzialkataster in Hessen mit auf den Weg gebracht. „Es ist mir wichtig, meine Forschungsergebnisse der vergangenen zehn Jahre an der Schnittstelle der Erneuerbaren Energien und der Geoinformatik auf der EU-Ebene auszurollen. Wir haben für Hessen und Deutschland und den dortigen Ausbau der Erneuerbaren Energien viel Forschungsexpertise entwickelt, diese möchten wir mit CAREL in den Dienst der EU stellen und damit den ‚Green Deal‘ unterstützen. Die Frankfurt UAS verleiht so auch in der Forschung ihrer neuen Nachhaltigkeitsstrategie Ausdruck“, sagte Klärle.

Bei CAREL wird ein „digitales Werkzeug“ entwickelt, das EU-weit unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten die ertragreichsten Standorte für Windkraft- und Solaranlagen ermittelt – und dies schnell, kostengünstig und transparent. Dazu wird ein generisches Modell zur Übertragung der entwickelten Berechnungsmethodik geschaffen. Große Datenmengen (Big Data und Cloud-Computing) werden durch automatisierte Prozesse in GIS-Labors verarbeitet und Methoden der Künstlichen Intelligenz angewendet. Durch einen gemeinsamen Austausch mit Praxisanwendern und Forschungseinrichtungen wird sichergestellt, dass die Expertise der Zielgruppen berücksichtigt und eingebunden wird. Die entwickelten Algorithmen und Formeln werden über Open-Access-Plattformen für eine breite Fachöffentlichkeit nutzbar und sind für die Weiterentwicklung konzipiert. Bisher wurden nur lokal und punktuell Forschungsergebnisse gebündelt, das geförderte Projekt ermöglicht eine EU-weite Ausbreitung und Anwendbarkeit in der Praxis.

„Das ist ein schönes Beispiel, wie die Open-Data-Strategien von EU, Bund und Land Hessen für sinnvolle und notwendige Vorhaben den Weg bereiten können und welch großes Potenzial sich aus der kostenfreien Bereitstellung öffentlich zugänglicher Daten ergeben kann. Daher befürworten wir ausdrücklich Open-Source-Vorhaben, die dem Wissenstransfer dienen“, sagte die Digitalministerin. Weitere Beispiele seien das GovData-Portal für Verwaltungsdaten, das hessische Gesetz zur kostenlosen Bereitstellung offener Geobasisdaten sowie das Copernicus-Programm in der Satellitentechnologie. „Digitale Innovationen in die Praxis zu bringen, ist für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung, um den Mehrwert der Digitalisierung für unser Land effektiv zu nutzen“, unterstrich Sinemus.

Weiterer Projektbeteiligter ist Prof. Dr. Robert Seuß vom Master-Studiengang Geodatenmanagement der Frankfurt UAS. Er verantwortet bei CAREL die Aufbereitung der EU-weit standardisierten Geodaten und die Darstellung sowie den einfachen Zugang zu den benötigten (Geo-)Daten und Berechnungsalgorithmen. „Hochwertige und offene Geodaten bilden den Treibstoff für vielfältige Anwendungen. Durch harmonisierte Dateninhalte über Länder- und Verwaltungsgrenzen hinweg können bestehende Algorithmen und Modelle einfacher räumlich transferiert werden. So können sie in Kombination mit leistungsfähiger Informationstechnologie einen wichtigen Beitrag zum europäischen Klimaschutz leisten“, erklärte Seuß.

Hintergrund Förderprogramm Distr@l
Das Förderprogramm Distr@l ist Ende 2019, also vor der Corona-Pandemie, gestartet. Bis jetzt sind bereits mehr als 450 Anfragen und 260 Konzepte eingegangen. Bewilligt wurden bisher 44 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von rund 11,6 Millionen Euro. Weitere 17 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von rund 5,5 Millionen Euro wurden zur Förderung empfohlen. „Die riesige Resonanz zeigt, wie Digitalisierung zu einer Erleichterung und Verbesserung im Alltag beitragen kann und wie viele gute Ideen es dazu in Hessen gibt“, freute sich Digitalministerin Sinemus. „Gerade durch die Corona-Pandemie hat unser Distr@l-Förderprogramm noch einmal zusätzlich Bedeutung gewonnen. Rund die Hälfte aller Anfragen hat einen Corona-Bezug.“ Die Hessische Landesregierung hat daher im vergangenen Jahr das für fünf Jahre ausgelegte Distr@l-Fördervolumen von 40 Millionen Euro um 17,5 Millionen Euro aus dem Sondervermögen zur digitalen Transformation aufgestockt, so dass insgesamt rund 200 Forschungs- und Entwicklungsprojekte bis 2024 bewilligt werden können.

Das Förderprogramm Distr@l adressiert digitale angewandte Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit Akteuren aus Hessen. Die antragsberechtigen Zielgruppen erstrecken sich von kleinen und mittleren Unternehmen über Start-ups bis hin zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Gefördert werden Einzel- sowie Verbundvorhaben, die den Stand der digitalen Technik signifikant erhöhen. Das Förderprogramm ist explizit themenoffen konzipiert und legt den Fokus auf digitale anwendungsbezogene Vorhaben. Mit den vier Förderlinien stellt das Programm ein einzigartiges Fördersystem dar, das zielgruppenorientiert auf die Herausforderungen der digitalen Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft reagiert und sich komplementär in die Förderlandschaft des Landes einfügt. Dieses breite Angebot von Machbarkeitsstudien (Förderlinie 1), über digitale Produkt- und Prozessinnovationen (Förderlinie 2) und Wissens- und Technologietransfer (Förderlinie 3) bis hin zu Spin-off-Förderung an Hochschulen sowie Wachstumsförderung in Start-ups (Förderlinie 4) ermöglicht es, neue Lösungen und Projektideen im Kontext digitaler Technologien zu gestalten und umzusetzen.

Weitere Informationen unter http://www.digitales.hessen.de

Näheres zum Solardachkataster unter: http://www.frankfurt-university.de/solardachkataster.

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Deutsche Welle am 24.6.2021 über ein ganz verrücktes Projekt:

Bürgerrat Klima: Endlich ernst machen!

Deutschland hinkt seinen Klimazielen hinterher. Der Bürgerrat Klima, ein Pilotprojekt partizipativer Demokratie, hat seine Empfehlungen vorgelegt und greift der Regierung unter die Arme.

[…] Die 160 Teilnehmenden des Experiments Bürgerrat Klima waren per Losverfahren und anhand demografischer Daten, wie Alter, Bildungsstand, Herkunft nach Bundesland oder Migrationshintergrund ausgewählt worden. Politische Einstellungen spielten keine Rolle. 

Früher stellte man sicher, dass die Leute etwas von der Materie verstehen, die sie bearbeiten. Seit den freitagsdemonstrierenden Kindern und Jugendlichen ist man davon abgekehrt. Zuviel Bildung stört nämlich, bei der Bewertung komplexer Zusammenhänge. Je weniger Fachwissen, desto eher kommt die Regierungslinie heraus, die durch vielfältige Maßnahmen überall medial, juristisch und „offiziell-wissenschaftlich“ verkündet wird, gepaart mit rührenden Klimahorror-Geschichten.

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Science Media Center Germany:

SRU-Stellungnahme zu Wasserstoff als Energieträger für den Klimaschutz

Ohne Wasserstoff als Energieträger ist eine klimafreundliche Wirtschaft undenkbar. Aber Wasserstoff wird nicht in unbegrenzter Menge zu erzeugen sein, daher kommt es darauf an, genau auszuloten, welche Bereiche wirklich auf das klimaneutral erzeugbare Gas angewiesen sind, und welche Bereiche besser auf Strom umgestellt werden sollten. Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seiner am 23.06.2021 veröffentlichten Stellungnahme „Wasserstoff im Klimaschutz. Klasse statt Masse“ (siehe Primärquelle).

Die Autorinnen und Autoren heben besonders hervor, in welchem Maße unterschiedliche Erzeugungsverfahren unterschiedliche Umweltfolgen nach sich ziehen und schlagen anhand dessen ein Zertifizierungsverfahren für Wasserstoff vor. Auch betonen sie, dass es wichtig ist, am Anfang der Umstellung massiv in die Effizienz der umzustellenden Prozesse zu investieren und anhand einer Priorisierung des Bedarfs zu ermitteln, wie groß ein Wasserstoffnetz in Deutschland dimensioniert werden sollte. Einer Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas unter Abscheidung und Lagerung oder Nutzung des dabei entstehenden CO2 – so genannter blauer Wasserstoff – erteilt der SRU allerdings eine Absage; auch für Pkw solle das Gas eher nicht verwendet werden.

In vielen Punkten stimmen die Antworten der eingegangenen Forscherstatements mit diesen Ergebnissen des SRU überein, doch nicht mit allen: Manche stellen die Frage, ob blauer Wasserstoff nicht doch für eine Übergangsphase genutzt werden sollte, und zumindest ein Forscher widerspricht der SRU-Empfehlung, auf Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe in Pkw besser zu verzichten.

Weiterlesen beim Science Media Center Germany

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Reuters am 25.6.2021:

* Oil demand and emissions show steep rise in 2021

* Swiss voters reject idea to pay up to help cut emissions

* Politicians unwilling to take uncomfortable decisions

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AWI am 24.6.2021:

Zirkumpolarstrom fließt in Warmphasen schneller

Intensität des Antarktischen Zirkumpolarstroms könnte künftig zunehmen und den Klimawandel verstärken

Die weltweit größte Ozeanströmung um die Antarktis bestimmt den Transport von Wärme, Salz und Nährstoffen im Weltozean entscheidend mit. Ein internationales Studienteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts hat nun Sedimentproben aus der Drake-Passage ausgewertet. Das Ergebnis: Während der letzten Warmzeit strömte das Wasser schneller als heute. Dies könnte eine Blaupause für die Zukunft sein und weltweit Folgen haben. So könnte etwa die Aufnahmekapazität des Südlichen Ozeans für CO2 aus der Atmosphäre sinken, was wiederum den Klimawandel verstärkt. Die Studie ist jetzt im Fachmagazin Nature Communications erschienen.

Der Antarktische Zirkumpolarstrom (engl. Antarctic Circumpolar Current, ACC) ist die mächtigste Ozeanströmung der Welt. Weil keine Landmasse den Weg versperrt, treiben die Stürme der Westwinddrift das Wasser ungehindert nach Osten, immer im Uhrzeigersinn um die Antarktis herum. So entsteht ein gigantischer Strömungsring, der den Pazifik, den Atlantik und den Indischen Ozean im Süden miteinander verbindet. Damit ist der ACC der zentrale Verteiler in der globalen Ozeanzirkulation – auch bekannt als „Globales Förderband“ – und beeinflusst so den ozeanischen Wärmetransport und die marinen Stoffkreisläufe auf der ganzen Welt. Große Veränderungen im ACC haben deshalb globale Folgen.

„Obwohl der ACC eine wichtige Rolle für das Klima von morgen spielt, ist das Wissen über sein Verhalten immer noch sehr begrenzt“, sagt Dr. Shuzhuang Wu, Forscher in der Sektion Marine Geowissenschaften am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Erstautor der Nature Communications-Studie. „Um die damit verbundenen Unsicherheiten in den Klimamodellen auszuräumen und die Vorhersagen zu verbessern, brauchen wir deshalb dringend Paläodaten, aus denen wir die Zustände und das Verhalten des ACC in der Vergangenheit rekonstruieren können.“

Die einzige Engstelle auf dem ringförmigen Weg des ACC ist die Drake-Passage zwischen der Südspitze Südamerikas und der Nordspitze der antarktischen Halbinsel. Hier pressen sich gewaltige 150 Millionen Kubikmeter Ozeanwasser pro Sekunde hindurch – das entspricht der 150-fachen Wassermenge aller Flüsse der Erde. In diesem Nadelöhr lassen sich Veränderungen des gesamten Stroms besonders gut ablesen. Deshalb fuhren die AWI-Forschenden 2016 an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern in die Drake-Passage, um die Sedimentablagerungen der vergangenen Jahrtausende zu untersuchen. „Die Bodenströmung ist hier so stark, dass die Sedimente an vielen Stellen einfach fortgespült werden“, sagt der damalige Fahrtleiter und Studienmitautor Dr. Frank Lamy. „Trotzdem konnten wir mit dem Sedimentecholot der Polarstern Sedimenttaschen aufspüren und unter anderem einen mehr als 14 Meter langen Bohrkern aus 3.100 Metern Tiefe bergen. Das war ein großer Erfolg, weil die letzten vergleichbaren Kerne aus dem Bereich der Drake-Passage aus den 1960er Jahren stammen.“

Die Sedimente des geborgenen Kerns haben sich innerhalb der letzten 140.000 Jahre bis heute abgelagert. Damit decken sie einen kompletten Glazial-Interglazial-Zyklus ab, enthalten also Informationen aus der letzten Eiszeit, die vor 115.000 Jahren begann und vor 11.700 Jahren endete, und der vorhergehenden Eem-Warmzeit, die vor 126.000 Jahren begann.

Durch eine Analyse der Korngröße der abgelagerten Sedimente konnte das Studienteam die Strömungsgeschwindigkeit und das transportierte Wasservolumen des ACC in der Drake-Passage rekonstruieren. Aufgrund vieler kleiner Partikel auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit berechneten die Forschenden eine niedrige Geschwindigkeit und ein im Vergleich zu heute deutlich geringeres Wasservolumen. Grund dafür sind schwächere Westwinde und ausgedehnteres Meereis im Süden der Passage. Während der Kaltzeit blies der Hauptantrieb des ACC also schwächer und hatte weniger Angriffsfläche auf dem Wasser. Aus den sehr großen Partikeln auf dem Höhepunkt der Warmzeit ergaben sich dagegen eine hohe Strömungsgeschwindigkeit und ein im Vergleich zu heute 10-15 Prozent größerer Durchstrom.

„Auf dem Höhepunkt der letzten Warmzeit von 115.000 bis 130.000 Jahren vor heute war es weltweit im Schnitt 1,5° bis 2° C wärmer als heute. Der Zirkumpolarstrom könnte sich also im Zuge der globalen Erwärmung in Zukunft beschleunigen“, sagt Frank Lamy. „Das hätte weitreichende Auswirkungen auf das Klima. Zum einen prägt der ACC andere Ozeanströmungen wie den Golfstrom, der unser Klima in Nordwesteuropa mitbestimmt. Zum anderen nehmen die Ozeane etwa ein Drittel des zusätzlichen CO2 aus der Atmosphäre auf. Ein schnellerer ACC fördert jedoch den Auftrieb von CO2-reichem Tiefenwasser an die Oberfläche. Die Aufnahmekapazität der Ozeane für atmosphärisches CO2 könnte sich damit reduzieren und die Konzentration in der Luft könnte schneller steigen. Langfristig könnten dann sogar große Teile des Südlichen Ozeans zu einer CO2-Quelle werden.“

Originalpublikation:

Shuzhuang Wu, Lester Lembke-Jene, Frank Lamy, Helge W. Arz, Norbert Nowaczyk, Wenshen Xiao, Xu Zhang, H. Christian Hass, Jürgen Titschack, Xufeng Zheng, Jiabo Liu, Levin Dumm, Bernhard Diekmann, Dirk Nürnberg, Ralf Tiedemann, Gerhard Kuhn: Orbital- and millennial-scale Antarctic Circumpolar Current variability in Drake Passage over the past 140,000 years. Nature Communications (2021), DOI: 10.1038/s41467-021-24264-9

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