SRF nimmt es beim Meeresspiegel in Louisiana nicht so genau mit der Wahrheit

Am 17. Juli 2018 brachte SRF die folgende Klimaschocknews:

Steigender Meeresspiegel – Louisiana versinkt im Golf von Mexiko
Bereits sind im Süden Louisianas tausende Quadratkilometer verschwunden. Der Landverlust kann bloss verlangsamt werden.

Ein steigender lokaler („relativer“) Meeresspiegel kann mehrere Ursachen haben. Zum einen steigt der globale Meeresspiegel um 1-3 mm pro Jahr. Aber würde dieser leichte Anstieg die beschriebenen krassen Folgen haben? Wohl kaum. Also muss hier noch etwas anderes eine Rolle spielen, nämlich die Landabsenkung, ein typischer Prozess in den Deltas der ganzen Welt, so auch im Mississippi-Delta. Das steht in einem Nebensatz auch im SRF-Beitrag angedeutet:

«Diese Bäume hier sind alle tot. Das Land sinkt, der Meeresspiegel steigt und deshalb stehen die Wurzeln der Eichen zu oft und zu lange im Wasser und sterben ab», erklärt Richie Blink. Tote Bäume sind nur besonders gut sichtbare Zeichen des Verfalls. Ganz Süd-Louisiana versinkt langsam im Meer.

Und um wieviel sinkt dieses Küstengebiet jährlich ab? In der Literatur stoßen wir auf Zou et al. 2016:

Evaluating Land Subsidence Rates and Their Implications for Land Loss in the Lower Mississippi River Basin
High subsidence rates, along with eustatic sea-level change, sediment accumulation and shoreline erosion have led to widespread land loss and the deterioration of ecosystem health around the Lower Mississippi River Basin (LMRB). A proper evaluation of the spatial pattern of subsidence rates in the LMRB is the key to understanding the mechanisms of the submergence, estimating its potential impacts on land loss and the long-term sustainability of the region. Based on the subsidence rate data derived from benchmark surveys from 1922 to 1995, this paper constructed a subsidence rate surface for the region through the empirical Bayesian kriging (EBK) interpolation method. The results show that the subsidence rates in the region ranged from 1.7 to 29 mm/year, with an average rate of 9.4 mm/year. Subsidence rates increased from north to south as the outcome of both regional geophysical conditions and anthropogenic activities. Four areas of high subsidence rates were found, and they are located in Orleans, Jefferson, Terrebonne and Plaquemines parishes. A projection of future landscape loss using the interpolated subsidence rates reveals that areas below zero elevation in the LMRB will increase from 3.86% in 2004 to 19.79% in 2030 and 30.88% in 2050. This translates to a growing increase of areas that are vulnerable to land loss from 44.3 km2/year to 240.7 km2/year from 2011 to 2050. Under the same scenario, Lafourche, Plaquemines and Terrebonne parishes will experience serious loss of wetlands, whereas Orleans and Jefferson parishes will lose significant developed land, and Lafourche parish will endure severe loss of agriculture land.

Absenkungsraten im unteren Mississippi-Becken die zwischen knapp 2 und 29 mm pro Jahren je nach Gebiet variieren. Diese Zahlen hätte man doch gerne im SRF-Beitrag gelesen und ins Verhältnis des globalen (eustatischen) Meeresspiegelanstiegs von 1-3 mm pro Jahre gesetzt gesehen. Im SRF-Beitrag von Max Akermann werden Beispiele aus dem südlichen Louisiana gebracht, etwa 70 km südlich von New Orleans. Schauen wir auf die Subsidenzkarte von Lou et al. 2016 für diese Gegend (Abbildung 1, das pdf ist kostenlos herunterladbar). Laut Karte sinkt das Land im betreffenden Bereich um 12-25 mm pro Jahr ab. Das ist das sechs- bis zwölffache des globalen Meeresspiegelbetrags zur Überflutung in Südlouisiana. Kein kleines Detail, sondern wichtige Zusatzinformation, die das ganze Problem plötzlich in einem ganz anderen Lichte darstellt.

 Abbildung 1: Land-Absenkungsraten im unteren Mississippibecken. Aus: Zou et al. 2016.

 

Der SRF-Autor Max Akermann vermeidet übrigens geschickt den Begriff ‚Klimawandel‘ in seinem Haupttext. Durch seinen Hinweis auf den pauschalen „Meeresspiegelanstieg“ führt er aber die meisten Leser in die Irre, da sie dieses Phänomen ja nur im Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel kennen. In einer nachgeschalteten Infobox zum Beitrag ist es dann aber vorbei mit der Zurückhaltung. Dort wird explizit auf den Klimawandel als Hautgrund des Meeresspiegelanstiegs in der Region verwiesen, was kompletter Unsinn ist, wenn man sich die oben skizzierten Verhältnisse vor Augen führt:

Die Folgen der Stürme spüren die Fischer besonders. Viele Laichgründe wurden zerstört. Noch viel mehr geschadet hat aber 2010 die katastrophale Ölpest nach der Explosion auf der Ölplattform Deepwater Horizon. Und jetzt steigt wegen des Klimawandels auch noch der Meeresspiegel immer schneller.

Das ist das Problem: Redakteure wie Max Akermann berichten lustig und frei über naturwissenschaftliche Themen, ohne über elementarste Grundkenntnisse zu verfügen. Aus Akermanns rudementären LinkedIn-Profil kann man erahnen, dass er sich den Naturwissenschaften in seiner Uni-Ausbildung in den 1970er Jahren wohl weitgehend ferngehalten hat. Seinem Hass auf die Ölkonzerne lässt er im Beitrag freien Lauf, weiß ganz genau, wer wohl an allem Schuld hat. Qualitätsjounalismus im 21. Jahrhundert: politisch angepasst, dafür fachlich erschreckend.

Auch Akermanns zweiter Artikel zum Thema ist zumindest vom Titel her haarsträubend:

Eine Insel verschwindet – Die USA haben ihre ersten Klimaflüchtlinge
Der Meeresspiegel steigt und steigt – den letzten Bewohnern der Isle de Jean Charles in Louisiana steht die Umsiedlung bevor.

Komplett falsch, Herr Akermann. Es handel sich nicht um „Klimaflüchtlinge“, sondern „Subsidenzflüchtlinge“. Die Absenkung des Mississippi-Deltas ist KEINE Klimawandelfolge, genausowenig wie die Kanalisierung der Flussbetten. Der global Meeresspiegelanstieg spielt hier nur eine sehr kleine Rolle, gehört nicht zu den Hauptantriebsfaktoren.

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