Von Sebastian Lüning
Geologe
Die Experten sind sich sicher: Bis zur Jahrhundertwende wird der Klimawandel die Temperaturen in Deutschland um zwei bis vier Grad nach oben schnellen lassen. Die Niederschläge sollen sich um 10% verringern, nicht hingegen Starkregenfälle, die zu mehr Überschwemmungen führen werden. Außerdem soll es stürmischer werden, wobei mit einer Steigerung um satte 50% gerechnet wird.
Erstellt wurden die Prognosen mithilfe von Klimamodellen. Modelle sind in den Naturwissenschaften weit verbreitet. Moderne Computer lassen komplexe Berechnungen zu, die früher unmöglich waren. Aber kann man den Ergebnissen der teuren Hochleistungsrechner wirklich vertrauen? Eine gesunde Portion Skepsis ist auf jeden Fall von Vorteil, denn Kollege Computer kann nur berechnen, was man ihm aufgibt: Garbage in – Garbage out. Der britischer Statistiker George Box brachte es auf den Punkt: „Alle Modelle sind falsch, aber einige sind nützlich“.
Die Klimawissenschaften sind ein stark multidisziplinärer Themenkreis. Eines der vielen beteiligten Fächer sind die Geowissenschaften, die eine ganz entscheidende Rolle in der Klimaforschung einnehmen. Leider ist jedoch die geowissenschaftliche Beteiligung an der öffentlichen Klimadiskussion noch immer sehr bescheiden. In den Medien dominieren ganz klar die Physiker mit ihren theoretischen Modellen. Dabei haben wir Geowissenschaftler eine ganz besondere Perspektive in die Betrachtung einzubringen, nämlich die Fähigkeit, komplexe Abläufe in einen zeitlich-räumlichen Kontext einzuordnen. Wenn wir im Studium eines gelernt haben, dann ist es Folgendes: Panta rhei – alles fließt. Nichts bleibt. Es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.
Der Aktualismus aus der Geologie besagt, dass geologische Vorgänge, die heute zu beobachten sind, ebenso in der Vergangenheit gewirkt haben: The present is the key to the past. Im Umkehrschluss sollten uns die Prozesse der Vergangenheit auch Aufschlüsse über die Vorgänge der Gegenwart und Zukunft geben: The past is the key to the present. An dieser Stelle werden die Geowissenschaften in der Klimadiskussion dringend gebraucht. War das Klima des Holozäns, also der letzten 10.000 Jahre, wirklich so monoton ereignislos, wie oftmals behauptet? Gab es möglicherweise Zyklen, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholten? Was sind die klimatischen Treiber des natürlichen, vorindustriellen Klimawandels? Welche Zusammenhänge und Trends können in den natürlichen Klimaarchiven der Vergangenheit beobachtet werden?
Die Paläoklimatologie stellt dringend benötigte harte Daten zur Verfügung, anhand derer die theoretischen Modellvorstellungen überprüft werden können. Es ist klar, dass nur Modelle für Zukunftsmodellierungen verwendet werden sollten, die einen solchen Ground-Truthing-Test bestehen, das heißt, das Klima der Vergangenheit reproduzieren können. Im Folgenden wollen wir uns den Klimawandel am Beispiel Deutschlands etwas näher anschauen.
Ein unvorhergesehener Erwärmungshiatus
Seit nunmehr 17 Jahren pausiert die Erwärmung in Deutschland. Wenn man die offiziellen Jahresdurchschnittstemperaturen des Deutschen Wetterdienstes seit 1997 aufträgt, ergibt sich sogar ein ganz leichter Abkühlungstrend. Das wärmste Jahr ereignete sich 2000. Mit einer Jahresmitteltemperatur von 8,7°C war das Jahr 2013 lediglich das 40. wärmste Jahr seit 1881 in Deutschland.
Deutschland ist kein Sonderfall. Vielmehr ist die relativ lange Erwärmungspause ein globales Phänomen. Noch immer ist unklar, weshalb das Thermometer eigentlich nicht mehr ansteigen will. Die Wissenschaft diskutiert derzeit eine Vielzahl von konkurrierenden Möglichkeiten, hat aber leider noch immer keine abschließende Antwort gefunden. Insbesondere die Klimamodellierer wären an der Lösung des Phänomens sehr interessiert, denn lediglich 2% aller Klimamodelle, die vom Weltklimarat IPCC herangezogen wurden, können den Erwärmungshiatus reproduzieren.
Abbildung 1: Temperaturentwicklung Deutschlands 1997-2013 (Daten: Deutscher Wetterdienst, DWD; Graphik: J. Kowatsch).
Klimaerwärmung in Deutschland
Die offiziellen Temperaturmesswerte reichen in Deutschland bis 1761 zurück. Bis Ende des 19. Jahrhunderts blieb es relativ kühl, eine Phase die in vielen Teilen der Erde als ‚Kleine Eiszeit‘ bekannt ist, einer natürlichen Kältephase, die bereits im 15. Jahrhundert begonnen hatte. Ab 1900 stiegen dann die Temperaturen in Deutschland. Die Kleine Eiszeit war vorüber und das Klima erholte sich langsam wieder. Gegen 1940 wurde eine Art theoretische „Normaltemperatur“ erreicht. Die Erwärmung setzte sich in der Folge weiter fort, wobei das Klima in eine Wärmphase umschlug. Heute liegen die Temperaturen um etwa anderthalb Grad über jenen der Kleinen Eiszeit. In diesem Zusammenhang sind z.B. auch die Sommer in Norddeutschland im Laufe der letzten 60 Jahre spürbar wärmer geworden.
Abbildung 2: Temperaturentwicklung Deutschlands 1761-2007 (Quelle: wiki.bildungsserver.de).
Noch nie dagewesene Hitze?
Als Geowissenschaftler sollten wir uns für den längerfristigen Kontext dieser Erwärmung interessieren, die mit dem Beginn der Industrialisierung begann und in eine Zeit fällt, in der der Mensch den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre durch Nutzung fossiler Brennstoffe stark erhöht hat. Welchen Anteil hat der Mensch an dieser Erwärmung? Könnte ein Teil des Temperaturanstiegs vielleicht natürliche Ursachen haben? Ein Blick in die Zeit vor der Kleinen Eiszeit ergibt wichtige Hinweise. Vor etwa 1000 Jahren war das Klima in Deutschland durch die sogenannte Mittelalterliche Wärmephase geprägt. Temperaturrekonstruktionen in Sedimenten der Eifelmaare, in Torfablagerungen Norddeutschlands sowie an Höhlentropfsteinen des Sauerlandes zeigen ein Wärmeniveau an, das zum Teil sogar deutlich über dem heutigen lag.
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