Es war schon eine kleine Sensation: IPCC-Chef Rajendra Pachauri sei zurückgetreten, rasselte es am 24. Februar 2015 aus allen Nachrichtentickern. So schrieb Spiegel Online:
Neuer IPCC-Präsident: Vorsitzender des Uno-Klimarats tritt zurück
Rajendra Pachauri, Chef des Uno-Klimarats IPCC, ist zurückgetreten. Sein Amt übernimmt ein Sudanese.
Der Uno-Klimarat IPCC hat einen neuen Vorsitzenden. Der Sudanese Ismail El Gizouli, bisher Vizechef des IPCC, übernimmt zumindest vorläufig den Vorsitz. Die endgültige Entscheidung über die Nachfolge von Rajendra Pachauri solle im Oktober fallen, teilt der IPCC mit. Pachauri stand dem IPCC 13 Jahre vor und ist am Dienstag zurückgetreten.
Auslöser war eine Pressemitteilung des IPCC vom gleichen Tag, in welcher der Wechsel an der Spitze der UN-Klimabehörde mitgeteilt wurde. Über die Gründe des Rücktritts verlor der IPCC kein Wort. Auch Spiegel Online druckste im ersten Teil seiner Meldung in ungewohnter Weise umständlich herum, bis er den wahren Kern der Geschichte enthüllt:
Gegen ihn hatten Angestellte Vorwürfe wegen Belästigung erhoben haben. Eine Forscherin von Pachauris Institut Teri wirft dem 74-jährigen Inder vor, sich wiederholt unangemessen verhalten zu haben, unter anderem mit anzüglichen E-Mails und Kurznachrichten.
Pfui Teufel. Der oberste Hüter des Klimagrals, Garant für die Sauberkeit der Klimaforschung wird plötzlich beim Falschspielen ertappt? Was für Konsequenzen hat dies? Müssen die IPCC-Klimaberichte jetzt vielleicht sogar zurückgezogen werden, da der Vorsitzende der herausgebenden Institution nicht mehr als vertrauenswürdig eingestuft werden kann und die Arbeiten damit diskreditiert sein könnten? War an den früheren Selbstbereicherungsvorwürfen vielleicht doch mehr dran, als es in einer angeblich entlastenden Untersuchung später behauptet wurde? Siehe unseren Blogartikel „Wer ist Rajendra Pachauri?„. Vielleicht auch ein guter Moment noch einmal nachzuhaken, weshalb Pachauri eigentlich in einem der reichsten Stadtteile Neu-Delhis lebt, obwohl er vom IPCC gar kein Gehalt bezieht.
Aber zurück zum aktuellen Fall. Hat Pachauri die Emails und Kurznachrichten wirklich selber geschickt, oder hat einer der bösen Klimaskeptiker vielleicht sein Handy gehackt und ihm einen bösen Streich gespielt? Mit dieser Verteidigungsstrategie versucht sich Pachauri zunächst aus der Schlinge zu ziehen, wie man im Standard nachlesen kann:
Pachauri wies die Vorwürfe zurück und gab an, sein Handy sei „gehackt“ worden.
Aber diese Verschwörungstheorie glaubt nicht einmal der Mitherausgeber des Klimaretters, Michael Müller, wie er am 28. Februar 2015 auf der Aktivisten-Webplattform einräumt:
Pachauri hat scheinbar das gemacht, was leider in Indien gegenüber Frauen häufiger passiert. Natürlich – so befürchte ich – ist er nicht nur zurückgetreten, weil er beleidigt war.
Der Karikaturist Josh stellte den Fall vermutlich treffend dar:
In der Heimat des IPCC wollte man es zunächst nicht wahr haben und warf fleißig Nebelbomben. So verniedlichte der schweizerische Tagesanzeiger am 27. Februar 2015 die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den „geadelten“, „höflichen“, „eleganten“, „unkomplizierten“ und „entspannten“ indischen Eisenbahningenieur mit einem einfachen „Stolpern“. Angesichts der schweren menschlichen Enttäuschung, die Pachauri der Öffentlichkeit zumutet, erscheint es bizarr, wie der Tagesanzeiger schnell noch dazwischenschiebt, Pachauri hätte „glaubwürdig vor dem Klimawandel“ gewarnt:
Geadelt und gestolpert
Rajendra Pachauri, Chef des UNO-Klimarates IPCC, warnte glaubwürdig vor dem Klimawandel. Mit dem Verdacht sexueller Belästigung endet seine Karriere ohne Ehre. […] Der bald 75-jährige Pachauri war ein höflicher Mann, elegant gekleidet, stets mit Einstecktuch in der Brusttasche. Er war unkompliziert und wirkte stets entspannt. Selbst bei einem Interview im engen Doppelstockzug zwischen Zürich und Bern – in den Gliedern die lange Reise von Delhi. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen, auch das immer wieder klingelnde Handy nicht.
Im Anschluss an die Erstberichterstattung wurde es in der deutschprachigen Presse dann aber ziemlich still. Das Thema sollte offenbar schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwinden, damit die Öffentlichkeit nicht auf falsche Gedanken kommt. So nahm man gar nicht mehr wahr, dass die Webseite Live India schon einen Tag nach der IPCC-Pressemitteilung, am 25. Februar 2015, Pachauris mutmaßliche Texte an seine 29-jährige Mitarbeiterin in voller Länge ins Netz gestellte hatte. Die kanadische Journalistin Donna Laframboise wühlte sich durch die ‚romantische‘ Korrespondenz und arbeitete in ihrem Blog die Höhepunkte heraus (Zitate aus der Korrespondenz in rot und kursiv):
You’re on a business trip, seated beside your boss on the plane. Your boss passes you a note that reads:
I dreamt last night that I did the preliminaries of making love to you, but woke up at the critical moment.
How would you respond? How comfortable would you feel sitting there for hours, trapped?
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