Meinungsumfrage zum „Klimawandel in Dresden“: Fakten – nein danke!

Der Ausschuss für Umwelt und Kommunalwirtschaft (Eigenbetrieb Friedhofs- und Bestattungswesen sowie Eigenbetrieb Stadtentwässerung) der Landeshauptstadt Dresden beschloss im März 2017, eine Meinungsumfrage zum „Klimawandel in Dresden“ durchzuführen. Die Umfrage startete jetzt am 5. August 2017. Anbei die Pressemitteilung der Stadt Dresden:

Bürgerumfrage zum Klimawandel startet am 5. August – Oberbürgermeister Hilbert ruft zur Teilnahme auf

Erstmalig befragt die Landeshauptstadt Dresden ihre Bürgerinnen und Bürger zum Klimawandel. Etwa 12 500 per Zufall ausgewählte Personen erhalten ab Sonnabend, 5. August 2017, den Fragebogen per Post. Ziel der Befragung ist es, die persönliche Belastung durch Hitze und andere Wetterextreme, die Vorstellungen über Grünflächen in der Stadt sowie den Wunsch nach möglichen Anpassungsmaßnahmen im eigenen Wohnumfeld zu erfassen und anschließend entsprechende Handlungsbedarfe zu ermitteln. Die Bürgerinnen und Bürger können den ausgefüllten Fragebogen im beigefügten Freiumschlag zurücksenden oder mit dem Zugangscode online teilnehmen unter www.dresden.de/klimaumfrage. Die Bürgerumfrage hatte der Stadtrat am 6. März 2017 per Beschluss beauftragt.

Oberbürgermeister Dirk Hilbert bittet um Unterstützung: „Die Ergebnisse dienen dem Stadtrat und den Ämtern als wichtige Entscheidungsgrundlage. Sie sollen Einfluss auf die Gestaltung von Konzepten und Richtlinien insbesondere in den Bereichen Stadt- und Grünraumplanung haben. Für die statistische Repräsentativität und Belastbarkeit der Ergebnisse ist es erforderlich, dass möglichst viele der angeschriebenen Dresdnerinnen und Dresdner an der Umfrage teilnehmen. Legen Sie den Fragebogen also nicht beiseite, sondern füllen Sie ihn am besten gleich aus.“

Auch Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen freut sich auf eine rege Teilnahme und erklärt die Notwendigkeit der Befragung: „Dresden ist und wird auch zukünftig von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein. In nahezu allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens stellt uns das vor Herausforderungen. In Dresden haben wir jedoch eine Vielzahl von Chancen: Gewässer können offen gelegt, renaturiert und naturnahe Rückhalteräume geschaffen werden. Grünflächen, Baumpflanzungen, Dach- und Fassadenbegrünungen als Vorsorge für die Folgen des Klimawandels werden von den Akteuren in der Praxis unterschätzt. Klimaanpassung ist auch Gesundheitsvorsorge. Die Rückmeldung der Bürgerinnen und Bürger ist dafür von unschätzbarem Wert.“

Hitzewelle, Starkregen, Jahrhunderthochwasser – in den vergangenen Jahren häuften sich die meteorologischen Rekorde. Die Wissenschaft prognostiziert drastische Klimaänderungen bis zum Jahr 2100 – auch in Dresden. Hitze- und Trockenperioden treten häufiger auf und werden durch heftige Starkregenereignisse unterbrochen. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird für Sachsen ein Temperaturanstieg um zwei bis drei Grad im Jahresmittel erwartet. Im Vergleich zum Klimareferenzzeitraum 1961 bis 1990 stieg in Dresden die mittlere Lufttemperatur in den letzten 30 Jahren um 0,6 Grad. Die damit verbundenen Klimaänderungen sind bereits deutlich spürbar. Sehr viel seltener können die Dresdnerinnen und Dresdner mit weißen Weihnachten rechnen, die Dampfschifffahrt kämpft in jüngerer Vergangenheit vermehrt mit Niedrigwasser und heftige Regengüsse verursachen häufiger lokale Überschwemmungen. Mit zunehmenden Hitze- und Trockenperioden steigt auch die thermische Belastung für den Menschen – insbesondere für gesundheitlich Beeinträchtigte, Ältere und Kleinkinder. Hitzestress und Hitzetodesfälle sind noch unterschätzte Gefahren, wie sich bei der Hitzewelle im Jahr 2003 zeigte, als laut einer Studie in Westeuropa rund 70 000 Menschen ums Leben kamen – davon allein etwa 7 000 in Deutschland.

Neben den Änderungen der klimatologischen Bedingungen muss sich die Landeshauptstadt weiteren Veränderungen stellen: Dresden ist eine wachsende Stadt. Der Wohnraumbedarf ist deutlich spürbar und der Baudruck ist enorm. Neue Wohnblocks verdrängen eine Vielzahl schattenspendender Bäume und Grünflächen. Besonders im Innenstadtbereich ist diese Entwicklung bedenklich. So würde sich beispielsweise nach Bebauung der Cockerwiese deren klimatisch ausgleichende Wirkung stark verringern und damit der überwärmte Innenstadtbereich weiter ausdehnen. In der Bauleitplanung sollte auf eine möglichst geringe Versiegelung und eine möglichst reichhaltige Bepflanzung in Form von Bäumen, Dach- und Fassadenbegrünung geachtet werden. Diese Maßnahmen dienen dem Schutz vor Überschwemmungen bei Starkregenereignissen, ermöglichen den Erhalt von Flächen für Arten und Biotopen und sie stellen überdies eine Möglichkeit der Gesundheitsvorsorge durch ihre positive mikroklimatische Wirkung (Abkühlung durch Verdunstung über Grünstrukturen, Staubbindung, Lärmminderung) dar. Diese Vielzahl von positiven Effekten sollte bei der Stadtplanung mehr Beachtung finden.

Die Landeshauptstadt Dresden ist unter anderem Mitglied des Klima-Bündnis-Netzwerks, des Netzwerks „ICLEI – Local Governments for Sustainability“ sowie des europäischen Netzwerks „Gesunde Städte“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und setzt sich seit mehr als 25 Jahren für eine nachhaltige Stadtentwicklung ein.

Bereits in den Vorjahren zeigten sich die Dresdner Stadtlenker klimawandlerisch hochaktiv. Ein üppig ausgestattetes Projekt mit dem phantasievollen Namen REGKLAM wurde ins Leben gerufen, das wiederum Teil des lustig klingenden KLIMZUG-Programmes bildet. In der REGKLAM-Broschüre von 2013 (pdf hier) sollte in Abschnitt II eigentlich die wissenschaftliche Basis des Klimawandels in Dresden abgehandelt werden. Allerdings findet sich dort außer vielen Konjunktivformulierungen keine einzige Klimakurve. Wie sollen die Dresdner Bürger jetzt eigentlich etwas über den Klimawandel in ihrer Stadt aussagen, wenn ihnen nicht einmal die Klimaentwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte sowie der langfristige klimahistorische Kontext beschrieben wird.

Wir helfen gerne aus. Beginnen wir mit der Temperaturentwicklung in Sachsen (Abb. 1).  Es ist richtig, dass es in den letzten 30 Jahren wärmer geworden ist. Allerdings sieht man an der Temperaturkurve auch, dass die Erwärmung in Sachsen seit 1990 stagniert. Zwischen 1960 und 1990 hat es einen großen Sprung nach oben gegeben, seitdem erleben die Sachsen einen Hiatus.

 

Abb. 1: Temperaturentwicklung von Sachsen während der letzten 130 Jahre. Quelle: DWD.

 

Was könnte hinter dieser seltsamen Entwicklung stecken? Stammleser unseres Blogs ahnen es sicher bereits: Es sind die Ozeanzyklen, in diesem Fall die Nordatlantische Oszillation (NAO), die zwischen 1960-1990 einen steilen Aufstieg erfuhr. Wenn man weiter in der Geschichte zurückschaut, entdeckt man weitere Zusammenhänge zwischen Sachsens Temperatur und der NAO, z.B. eine Kältephase um 1940, die mit einer negativen NAO zusammenfällt (Abb. 2). Wäre es nicht wichtig gewesen, die Umfrageteilnehmer über die bedeutende Rolle der NAO für die Dresdner Temperaturentwicklung vor dem Ausfüllen des Fragebogens aufzuklären?

 

Abb. 2: Entwicklung des NAO-Ozeanzyklus während der letzten 150 Jahre. Quelle: By Delorme – Created by Marsupilami ; updated with 2015 data and produced with R code by DelormeData source : Hurrell, James & National Center for Atmospheric Research Staff Hurrell North Atlantic Oscillation (NAO) Index (station-based) / Hosted data / „DJFM North Atlantic Oscillation Index (Station-Based) „, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9386514

 

Ein weiterer Punkt der in der Pressemitteilung nur unvollständig angesprochen wird: Dresden besitzt bereits heute einen spürbaren städtischen Wärmeinseleffekt. Eine kürzliche Arbeit von Benz et al. 2017 zeigt für Dresden einen fetten roten Punkt auf der Karte der Anthropogenic Heat Intensity (AHI) (Abb. 3b).  Hätte man erwähnen können.

 

Abb. 3: Anthropogenic Heat Intensity (AHI) in Deutschland. a) Wetterstationen (“Air”), b) Satellitenmessungen (“Surface”), c) Grundwasser. Quelle: Abb. 4 aus Benz et al. 2017.

 

Die Temperaturentwicklung Sachsens während der letzten 1000 Jahre ist kurioserweise noch komplett unbekannt, wie unser MWP-Kartierprojekt ergab. Wäre es nicht angezeigt, zunächst besondere Anstrengungen zu unternehmen, die Klimageschichte Sachsens während der letzten Jahrtausende zu erforschen, um die heutige Entwicklung in einen historischen Kontext zu setzen? Offenbar hat man hierzu eher weniger Lust und interpretiert die aktuelle Entwicklung vollkommen im Freistil, ohne historische Kalibrierung.

Ähnlich sieht es bei Dürren und Starkregen aus. Man versäumt es, die Umfrageteilnehmer über wichtige Erkenntnisse des Deutschen Wetterdienstes und Umweltbundesamtes zu informieren: Bisher kein gesichterter Trend bei diesen Extremwetterarten:

Was bleibt ist Verwunderung. Man gibt in Dresden vor, sehr am Klima und seinen Folgen interessiert zu sein. Dabei unterlässt man es jedoch, die grundlegenden Fakten zum Klimawandel in lesbarer Form und in neutraler Weise aufzubereiten. Offensichtliche Datenlücken ignoriert und verschweigt man in fahrlässiger Weise. Welchen Wert kann eine Klimabefragung haben, wenn man den Bürgern diese wichtigen Informationen vorenthält und lieber auf das unwissenschaftliche Bauchgefühl abzielt? Die Verantwortlichen in Dresden müssen hier dringend ihre Hausaufgaben machen, um nicht vollends unglaubwürdig zu werden.

 

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