Gute Nachrichten aus dem Pazifik: Meeresspiegel in Kiribati in den letzten 20 Jahren ohne langfristigen Anstieg

In wenigen Monaten treffen sich die Führer der Welt in Paris zu einer neuen Klimakonferenz. Wie jedes Mal geht es auch diesmal um alles, um das Fortbestehen der Menschheit. Solch ein wichtiges Treffen will gut vorbereitet sein. Die Leute müssen bereit sein, wenn harte wirtschaftliche Einschnitte beschlossen werden, die ihren Lebensstandard spürbar absenken werden. Zum Glück können sich die Staaten auf die Presse verlassen. Um die Zeitungen höchstmöglich gleichzuschalten, hat man ein ‘Climate Publishers Network’ (CPN) eingerichtet, das den Medien klimapolitisch geprüfte und korrekte Artikel kostenfrei zur Verfügung stellt. Da wollte das Kalte-Sonne-Blog natürlich gerne teilnehmen und stellte einen Mitgliedsantrag, der jedoch leider unbeantwortet blieb. Schade.

Im Vorjahr war im Warmschreiben für die Lima-Klima-Konferenz so einiges schief gelaufen. So titelte Die Zeit am 30. November 2014:

Klimawandel: Vor dem Untergang
In der Südsee zeigt der Treibhauseffekt schon massive Folgen. Hilft der Klimagipfel?
Aus der Luft betrachtet, ist Tarawa ein Paradies, aber seine Bewohner kämpfen gegen den Untergang. Hier, auf dem Hauptatoll der Inselrepublik Kiribati, spüren sie die Auswirkungen des Klimawandels schon lange. Weltweit lässt er den Meeresspiegel steigen, doch in der tropischen Südsee erhöht sich der Pegel besonders schnell. Die Erosion frisst an den Korallenriffen, das Grundwasser versalzt, Krankheiten breiten sich aus, Sturmfluten wüten immer heftiger. Der größte Teil Kiribatis ist nicht einmal zwei Meter hoch. Stünde Dirk Nowitzki am Strand von Tarawa, er könnte problemlos über das Atoll hinwegschauen – noch. Denn schon in wenigen Jahrzehnten könnte Kiribati zerstört sein.

Die Idee des Untergangs gefiel einem Inselbewohner Kiribatis so gut, dass er auf die Idee kam, einen Asylantrag im Land seiner Träume – Neuseeland – zu stellen. Begründung: Er wäre Klimaflüchtling und bald würde das Meer seine Heimat überfluten. Der Antrag wurde mittlerweile abgelehnt. Vermutlich machte sich der Mann nicht so sehr Sorgen wegen des Klimawandels, sondern es gab vielmehr handfeste wirtschaftliche Gründe für seinen Auswanderungsversuch. Die Mitteldeutsche Zeitung brachte es vor einige Jahren auf den Punkt:

Kiribati – klein, heiß und bitter arm
[…] Danach beträgt die Wirtschaftsleistung der Inselgruppe mit der Weihnachtsinsel Kiritimati derzeit 152 Millionen US-Dollar (knapp 114,7 Millionen Euro). Das entspricht in etwa der Summe, die allein die sechs deutschen Teilnehmer der Champions League und Europa League in der vergangenen Saison bei den Wettbewerben an Prämien kassierten. Das Handelsdefizit Kiribatis gehörte mit 92 Prozent im abgelaufenen Jahr zu den höchsten der Welt.

Der Präsident Kiribatis sonnt sich mittlerweile im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und ist immer für einen Publicity Stunt gut. So erwarb er letztes Jahr (2014) zu einem stark überhöhten Preis ein Stück Land auf einer Fidji-Insel, auf das die Einwohner Kiribatis im Fall der Fälle flüchten sollen. Klimaretter berichtete am 22. Juni 2014:

Kiribati kauft Land für Klimaflüchtlinge
Anote Tong, der Präsident des Inselstaates Kiribati im Pazifik, hat auf den Fidschi-Inseln Land erworben. Dorthin sollen mehrere Tausend Kiribatier ziehen, wenn ihre Heimat wegen des Klimawandels im Meer untergeht. Doch der Plan sorgt für Verunsicherung und Streit.

Natürlich sind die aktuellen Bewohner der betroffenen Fidji-Insel alles andere als froh über die mögliche bevorstehende Invasion aus Kiribati. Auch auf Kiribati selber ist man entsetzt über den fragwürdigen Landkauf, wie dem guten Klimaretter-Artikel ebenfalls zu entnehmen ist:

Tongs Amtsvorgänger Teburoro Tito hat sämtliche wissenschaftlichen Abhandlungen über die Folgen des Klimawandels für die Atolle gelesen. Er hält den Landkauf für unsinnig. „Die Forscher sagen, unsere Korallenriffe sind gesund und können mit dem Meeresspiegelanstieg Schritt halten. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, Land auf den Fidschi-Inseln oder sonst irgendwo zu kaufen“, sagt Tito und fügt verärgert hinzu: „Wie können wir um ausländische Hilfe bitten, wenn wir unser Geld für so unsinnige Dinge ausgeben?“ Auch Paul Kench, ein Geomorphologe an der University of Auckland, findet die Sorgen überzogen. „Wir wissen, dass die gesamte Riffstruktur um zehn bis 15 Millimeter im Jahr wachsen kann – schneller als der erwartete Meeresanstieg“, sagt der Atoll-Experte. „Solange das so ist und der Nachschub an Sand gesichert bleibt, brauchen wir keine Angst zu haben.“

Der Präsident Kiribatis hat offenbar die fundamentalen Grundlagen eines Korallenriffs nicht verstanden. Hat er im Geographie- und Biologie-Unterricht vielleicht gefehlt, als das Thema Korallenriffe durchgenommen wurde? Vielleicht hätte er vor dem Inselkauf auch einmal die Meeresspiegelkurven für Kiribati anschauen sollen. Eine Kurve der Anstiegsraten ist in einer Arbeit von Than Aung und Kollegen zu finden, die 2009 im Fachblatt „Weather“ der Royal Meteorological Society erschienen ist (Abbildung 1). Die höchsten Anstiegsraten gab es Mitte der 1990er Jahre, danach sackte der Meeresspiegel bis 2002 ab (negative Anstiegsraten) und stieg erst danach wieder leicht an.

Abbildung 1: Veränderung der Anstiegsrate des Meeresspiegels in Kiribati 1994-2008. Quelle: Aung et al. 2009.

 

Präsident Tong hätte aber auch die Satellitenkurve des Meeresspiegels für seine Region anschauen können (Abbildung 2). Diese umfasst immerhin die vergangenen 22 Jahre. Auch hier ist kein deutlicher Trend zu erkennen.

Abbildung 2: Meeresspiegelentwicklung der Region um Kiribati auf Basis von Satellitenmessungen. Quelle: University of Colorado.

 

Der im Klimaretter-Beitrag erwähnte Wissenschaftler Paul Kench leistet vorbildliche Aufklärungsarbeit und steuert dringend benötigte wissenschaftliche Daten zum Thema bei. Im März 2015 erschien ein weiterer Artikel von ihm im Fachblatt Geology zum Funafuti Atoll. Im Bereich dieses Atolls stieg der Meeresspiegel in den letzten 60 Jahren besonders stark an, nämlich mit einer durchschnittlichen Rate von etwa 5 mm pro Jahr. Trotz des Meeresspiegelanstiegs ist keine Insel des Atolls untergegangen, im Gegenteil, viele Inseln haben sich in dieser Zeit sogar vergrößert, wie Analysen der Küstenlinienentwicklung im Rahmen der Studie zeigten. Auch konnten keine Gebiete gefunden werden, in denen größere Erosion herrschen würde. Im Folgenden die Kurzfassung der neuen Arbeit:

Coral islands defy sea-level rise over the past century: Records from a central Pacific atoll
The geological stability and existence of low-lying atoll nations is threatened by sea-level rise and climate change. Funafuti Atoll, in the tropical Pacific Ocean, has experienced some of the highest rates of sea-level rise (5.1 ± 0.7 mm/yr), totaling 0.30 ± 0.04 m over the past 60 yr. We analyzed six time slices of shoreline position over the past 118 yr at 29 islands of Funafuti Atoll to determine their physical response to recent sea-level rise. Despite the magnitude of this rise, no islands have been lost, the majority have enlarged, and there has been a 7.3% increase in net island area over the past century (A.D. 1897–2013). There is no evidence of heightened erosion over the past half-century as sea-level rise accelerated. Reef islands in Funafuti continually adjust their size, shape, and position in response to variations in boundary conditions, including storms, sediment supply, as well as sea level. Results suggest a more optimistic prognosis for the habitability of atoll nations and demonstrate the importance of resolving recent rates and styles of island change to inform adaptation strategies.

Lesenswert in diesem Zusammenhang ist ein Artikel von Ulli Kulke auf Donner + Doria:

Das Atoll lebt. Und verschwindet eben nicht im Ozean
Es gibt neue Nachrichten von den untergehenden Inseln: Sie gehen nicht unter. Der Blog Donner und Doria hat bereits mehrfach thematisiert (hier nur einer von mehreren Beiträgen), dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig bis nichts dafür spricht, dass der Meeresspiegelanstieg die Atoll-Inseln im indischen und pazifischen Ozean einfach verschluckt. Jetzt ist zum Thema in der renommierten Wissenschaftszeitschrift “Science” ein lesenswerter Report erschienen, den ich hier zur Lektüre empfehlen will. Science-Autor Christopher Pala, der sich gerade in dem pazifischen Inselstaat Kiribati aufhält, setzt sich darin mit dem öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzten Schritt des Präsidenten Kiribatis, Anote Tong, auseinander, der im Mai 22 Quadratkilometer Land auf der recht bergigen zweitgrößten Insel Fidschis, Viti Levu, für seine Landsleute gekauft hat, weil er meint, dass sein Staat demnächst untergehe. Teburoro Tito, früher selbst Präsident Kiribatis und jetzt Oppositionspolitiker, bezeichnete Tongs Schritt als reinen “Publicity-Gag”. Christopher Plea begründet, warum.

Weiterlesen auf Donner + Doria.

Auch populärwissenschaftliche Zeitschriften wie Spektrum der Wissenschaft haben mittlerweile genug von der laienhaften Panikmache zum angeblichen Absaufen der Pazifikinseln (siehe unseren Blogbeitrag „Spektrum der Wissenschaft über angeblich vom Untergang bedrohte Südseeatolle: “Noch keine der betroffenen Inseln ist in nächster Zeit von Überflutung bedroht. Einige vergrößern sich sogar auf Grund natürlicher ökologischer Vorgänge”“). Bereits Ende 2012 hatten wir an dieser Stelle über Kiribatis gute Überlebenschancen berichtet (siehe „Kiribati geht unter – oder vielleicht doch nicht?“).

Wie in vielen Teilen der Erde, spielen auch im Pazifik Ozeanzyklen eine Rolle, die im 60-Jahrestakt den Meeresspiegel beeinflussen. Im Dezember 2013 publizierte hierzu ein Team um Jae-Hong Moon im Journal of Geophysical Research. Sie berichteten, dass die Satellitenmessreihe seit 1993 viel zu kurz sei, um die Effekte längerfristiger Ozeanzyklen zu identifizieren und herauszurechnen. Mithilfe von Küstenpegelmessungen konnten die Autoren die längerfristige Entwicklung seit 1958 auswerten. Dabei fanden sie Mitte der 1970er und Anfang der 1990er Jahre zwei Geschwindigkeitsveränderungen im Meeresspiegelanstieg, wobei sich der Anstieg auf der einen Seite des Pazifiks beschleunigte und auf der anderen Seite im Gegenzug verlangsamte. Hinter dem Wechselspiel steckt die Pazifisch Dekadische Oszillation (PDO). Hier der Abstract der Arbeit:

Multidecadal regional sea level shifts in the Pacific over 1958–2008
Altimeter data have significantly improved our understanding of regional sea level variability and trends, but their relatively short records do not allow either evaluation of the ocean state prior to 1993 or multidecadal low-frequency signals in the ocean. Here we characterize and quantify the multidecadal regional sea level rise (rSLR) and related ocean heat content in the Pacific from a non-Boussinesq ocean circulation model in comparison with data sets from altimeters, two sea level reconstructions, and in situ ocean profiles from 1958 to 2008. We show that the rSLR trends have undergone two shifts, during the mid-1970s and in the early 1990s, with an east-west dipole pattern in the tropical Pacific. In each of these phases, rSLR accelerated on one side of the Pacific, but decelerated on the other side. The multidecadal sea level shifts can be explained by the dynamical (steric) upper-ocean responses to the surface wind forcing associated with the Pacific Decadal Oscillation (PDO), with negligible contributions from internal (depth-integrated) ocean mass changes. Additional model experimentation further confirms that the Pacific wind stress trend over the recent two decades has played an important role in strengthening the rSLR in the western Pacific while suppressing the rSLR in the eastern Pacific. The climate-forced large-scale rSLR variability is likely to impose a long-term and uneven impact on coastal communities.

 

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