Welchen Einfluss hat die Arktis auf das Wetter in mittleren Breiten?

Anfang Mai 2019 berichtet der Deutschlandfunk über das Erscheinen einer Studie in Nature Communications von 2018. Darin beschreiben Autoren des Potsdam Institutes für Klimafolgenforschung (PIK) (Pressemitteilung hier) und weiterer internationaler Institutionen den möglichen Einfluss der überproportionalen arktischen Erwärmung auf die Sommerzirkulation mittlerer Breiten (D. Coumou et al. 2018). Die Auswirkungen eines schwächelnden troposphärischen Strahlstromes auf das Wetter werden darin im Konjunktiv beschrieben, die arktische Erwärmung völlig selbstverständlich den anthropogenen CO2-Emissionen angelastet.

Die Ergebnisse der Analyse verweisen auf die Möglichkeit, dass sich Hitzewellen und andere sommerliche Wetterextreme, wie sie in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten gehäuft auftraten, auf eine Abschwächung des Strahlstromes zurückführen lassen. Letzterer soll wiederum Folge der Erwärmung der Arktis bzw. der Abnahme der Meereisflächen sein. Die vom arktischen Ozean verstärkt aufgenommene Wärme wird im Winter an die untere Troposphäre abgegeben und beeinflusst Zirkulationsmuster weiter südlich in den mittleren Breiten.

Dabei kommt es zu einer Konkurrenzsituation, die in der Fachliteratur als „Tug-of-War“, also als das Tauziehen zwischen Prozessen in der oberen Troposphäre und in der unteren Troposphäre bekannt ist: Durch die globale Erwärmung – sei es durch CO2 bzw. Wasserdampf oder freilich durch den Einfluss solarer Prozesse – nimmt der Temperaturunterschied zwischen Äquator und Pol in der unteren Troposphäre ab. Dadurch kann weniger kinetische Energie generiert werden und so genannte synoptische Störungen, also an Wetterfronten gebundene Zyklone (Stürme) werden vor allem in den Sommermonaten schwächer. In der oberen Troposphäre führt jedoch der Eintrag von mehr latenter Wärme durch ein größeres Verdampfungspotenzial in den Tropen zu einer Zunahme des Temperaturgradienten zwischen Äquator und den mittleren Breiten, welches wiederum die synoptischen Störungen dort verstärkt.

Der „Tug-of-War“ ist bisher mindestens für den Winter unentschieden und für den Sommer zugunsten schwächerer Sturmverläufe. CO2-dominierte Modelle sehen hingegen den Einfluss der Tropenprozesse langfristig zunehmen mit entsprechend zunehmenden Sturmenergien in den mittleren Breiten, allerdings mit großer Unsicherheit. Denn kleinste Modellparameteränderungen bedingen größte Effekte in die eine oder andere Richtung (Zhao et al. 2016, Voosen 2016).

Für die Sommerzirkulation wird davon ausgegangen, dass die Meereisverteilung und die arktischen Temperaturen einen Einfluss auf die Festigkeit und Breitenlage des Strahlstromes haben. Meridionale Auslenkungen des Strahlstromes führen dabei zu einer blockierenden Wetterlage, die zu langanhaltenden Hitzewellen oder aber zu Regenfluten führen können. Resonanzen können die Amplitude dieser Wellen – bestehend aus Trog (polare kalte Luft im Tiefdruckgebiet) und Schwelle (tropische warme Luftmasse im Hochdruckgebiet) – vergrößern und so die stagnierende Wetterlage über weite Bereiche ausdehnen. Solche Verstärkungen der quasi-stationären Wellen werden ebenfalls der arktischen Erwärmung zugerechnet.

Allerdings handelt es sich mehr um Theorien und Modellergebnisse als um tatsächliche Zusammenhänge, was aber bei den Medienberichten über diese doch sehr apokalyptischen Studien nicht durchdringt. Insbesondere der Faktor der natürlichen dekadischen Zyklizität wird zwar in der Studie genannt aber nicht weiter diskutiert, obwohl dieser einen wesentlichen Diskussionspunkt in der entsprechenden Literatur bildet. Weiterhin vertraut die Studie auf Modelle, aus denen entgegen anderer Berichte resultiert, dass der Strahlstrom der Nordhemisphäre im Sommer unter antarktischer Verstärkung in Richtung Nordpol wandert, was die tropische Beeinflussung hervorhebt. Insgesamt stehen alle Ergebnisse unter Vorbehalt, alles wird im Konjunktiv beschrieben. Zum Beispiel auf S. 9 der Studie:

„However, substantial uncertainty remains in how such quasi-stationary waves will change under global warming including the role of arctic amplification therein. … their relative importance compared to other drivers is poorly understood.”

Oder hinsichtlich der Wetterbeeinflussung durch arktische Verstärkung:

“There is still substantial uncertainty in what implications this weakening [of storm tracks] will have for summer weather conditions.” “…processes are largely unquantified.”

Die Studie ist voll davon! Nun ist es keinem Wissenschaftler vorzuwerfen, dass Forschungsergebnisse noch nicht robust genug sind und diese noch weitergeführt werden müssen. Aber bei so viel Unsicherheit gibt es doch wohl kaum einen Grund, einen apokalyptischen Tonfall anzunehmen und Menschen mit solch schwachen Studienergebnissen regelrecht – und hier sind dann die Medien im Visier – zu tyrannisieren. Ich gehe dabei schon lange nicht mehr davon aus, dass es Zufall ist, dass diese Art von Angststudien und/oder deren Berichterstattung immer dann erfolgen, wenn gerade wichtige Wahlen anstehen oder aber irgendwelche alljährlichen Klimagroßevents mit gigantischen CO2-Fußabdrücken. In diesem speziellen Fall ist es halt die Europawahl 2019.

In einer weiteren wissenschaftlichen Studie von 2017, von E. A. Barnes und I. R. Simpson im Journal of Climate ergeben die Modellierungsergebnisse, dass der Strahlstrom der nördlichen Hemisphäre in den meisten Monaten unter Einfluss der arktischen Verstärkung in Richtung auf den Äquator wandert (also genau entgegengesetzt zur Studie von Coumou et al. 2018) und dabei gefestigt wird, anstatt meridional auszulenken. Allerdings trägt die arktische Erwärmung nur zu 3 bis 5 % in den Modellen zur Lageänderung, Geschwindigkeit und zonalen Windstärken bei. Insbesondere die Jahreszeit hat einen Einfluss auf die Sensitivität der Prozesse. Diese geringe Beeinflussung ist nicht abwegig.

Die Ausdehnung des zirkumarktischen Meereises zwischen Winter und Sommer variiert um gut 14 Millionen km2. Die Abnahme des arktischen Meereises in Folge der Erwärmung in den letzten 7 Jahren liegt bei ungefähr 0,5 Millionen km2, also 3 bis 4 % der jährlichen Variation (JAXA 2019). Bereits 2019 sind die Verluste im Winter deutlich zurückgegangen und die maximale Ausdehnung befindet sich schon wieder auf dem Niveau von 2013. Die Meereisausdehnung im Sommer hingegen ist seit den herben Schmelzraten im Jahr 2007 einigermaßen stabil, mit Ausnahme des Jahres 2012. Insgesamt liegt die Variation der minimalen Ausdehnung im Sommer für das 21. Jahrhundert bei 1 bis 2 Millionen km2, also ca. 7 bis 14 % der jährlichen Schwankungen.

Natürlich ist mit Änderungen der atmosphärischen Zirkulation zu rechnen, wenn das arktische Meereis schmilzt. Aber bei diesen Beträgen ist keine apokalyptische Zukunftsaussage notwendig, eher handelt es sich dann um Glaskugelleserei. Ein Blick auf die Schneebedeckung der nördlichen Hemisphäre, die ebenfalls eine bedeutende Rolle in der Änderung der atmosphärischen Zirkulation spielen soll, lässt den Betrachter verstört zurück. Der Trend und die Variationen sind seit 1972 jährlich betrachtet horizontal bzw. gleichbleibend (Rutgers University Global Snow Laboratory 2019). Für die Sommermonate ist wie zu erwarten ein abnehmender Trend zu erkennen und natürlich gibt es unterschiedliche Entwicklungen in unterschiedlichen Regionen (siehe climate4you). Aber über die gesamte Halbkugel bleiben die Schneemengen gleich. Noch spannender sind die Ergebnisse einer Wissenschaftsstudie von T. Woolings et al. (2018), die auf S. 1312 der Studie zu folgender Aussage kommen:

„As discussed in the introduction, there is a rapidly growing body of literature suggesting that recent extreme events have occurred partly because of emerging anthropogenic effects such as amplified Arctic warming. Our results show that the variability of Atlantic Jet position itself varies on decadal timescales. For example, the variability of wintertime jet latitude has increased over the last two decades, as the mean jet speed has weakened. However, this reflects the jet reverting to a normal state after being unusually strong and steady around the 1980s and 1990s. In no season, according to our diagnostics, was the jet more variable in recent decades than in any earlier period. This highlights the importance of a long-time-scale perspective when analyzing recent events.” Und in der Zusammenfassung ist der Satz zu lesen: “These modulations [of the jet] are also related to variations in the basinwide occurrence of high impact blocking events. A picture emerges of complex multidecadal jet variability in which recent decades do not appear unusual.”

Sirpa Häkkinen und Kollegen schreiben 2011, dass Winter mit häufigen Blocking-Situationen zwischen Grönland und den Britischen Inseln über mehrere Dekaden hinweg auftreten können und mit einem warmen Nordatlantik korrelieren, in Phase mit der atlantischen Multidekaden Oszillation. Zwar gelten diese Aussagen nicht für den Sommer und nicht für die in Coumou et al. (2018) betrachteten Regionen, aber offensichtlich spielen zeitliche Zyklen eine wichtige Rolle in den angesprochenen Prozessen. E. A. Barnes & J. A. Screen bezweifeln in einer sehr lesenswerten Stellungnahme in Wire’s Climeate Change 2015 einen wesentlichen Einfluss der arktischen Verstärkung auf das Wetter in mittleren Breiten, auch wenn dies grundsätzlich möglich ist. Begründet wird dies mit einer deutlich stärkeren internen atmosphärischen Variabilität und anderen Faktoren, die den Einfluss abnehmenden Meereises auf die Wettersituationen überlagern.

Es gibt diesen ominösen Klimawandelkonsens, von den die Medien, Politiker und bestimmte Wissenschaftsgruppierungen immer sprechen, einfach nicht! In keinem Fachbereich und bei keiner wissenschaftlichen Fragestellung. Der Konsens ist und bleibt ein Konjunktiv und ist darüber hinaus politisch motiviert.

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Siehe auch den früheren Beitrag zum Thema: "Ein Sommermärchen".

 

 

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