Pressemitteilung des Geomar vom 23. August 2019:
—————
Eruption in El Salvador verstärkte spätantike Klimakrise
Forschung zur Chronologie mittelamerikanischer Vulkane löst globales Rätsel
Kalte Sommer, geheimnisvolle dunkle Wolken, Missernten, Seuchen – um das Jahr 540 erlebt der Mittelmeerraum eine umfassende Krise. Nach heutigem Kenntnisstand waren zwei große Vulkaneruptionen 536 und um 540 die Auslöser. Doch die Identifizierung der Vulkane blieb umstritten. Ein internationales Team unter Beteiligung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel präsentiert jetzt in der Fachzeitschrift Quaternary Science Reviews einen Hauptverdächtigen für den Ausbruch 540: den Ilopango im heutigen El Salvador.
Große, explosive Vulkaneruptionen können das Klima global
beeinflussen. Historische Beispiele zeigen, dass sie damit menschliche
Gesellschaften auch über große Entfernungen in Krisen stürzen können.
Der indonesische Vulkan Tambora schleuderte beispielsweise 1815 so viel
Asche und Aerosole in die Atmosphäre, dass das Jahr 1816 in Europa und
Nordamerika als „Jahr ohne Sommer“ mit Missernten und Hungersnöten in
die Geschichtsbücher einging.
Eine ähnliche Krise erfasste den
Mittelmeerraum und weite Teil der Nordhalbkugel um das Jahr 540 n. Chr.
Zeitgenössische Autoren wie der Historiker Prokopios von Caesarea (um
500 – um 562) berichten von Ernteausfällen, Hungersnöten und einer
verheerenden Pestepedemie. Auch in diesem Fall sind Vulkane als Auslöser
wahrscheinlich. Schwefel-Lagen in Eiskernen beider Polkappen deuten auf
zwei große Eruptionen im Jahr 536 und um 540 hin. Doch um welche
Vulkane es sich handelte, war bislang umstritten.
Einen
Durchbruch bei der Suche nach den verantwortlichen Eruptionen
präsentiert ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Quaternary Science Reviews.
„Wir konnten zeigen, dass ein besonders intensiver Ausbruch des Vulkans
Ilopango im heutigen El Salvador genau ins Jahr 539/540 fällt und sehr
große Mengen Schwefel freigesetzt hat. Damit passt diese Eruption genau
zur Klimaverschlechterung in Europa“, sagt der Vulkanologe Dr. Steffen
Kutterolf vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Co-Autor
der Studie.
Das Ergebnis ergab sich fast zufällig aus regionalen
Untersuchungen in Mittelamerika. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs
574 haben sich Forscherinnen und Forscher des GEOMAR schon von 2001 bis
2012 intensiv mit der Geschichte der Plattentektonik und des
Vulkanismus dort beschäftigt und zahlreiche Proben gesammelt. „Mit
diesen Proben versuchen wir jetzt unter anderem die Abfolge der
Großeruptionen in El Salvador zu rekonstruieren“, sagt Dr. Armin Freundt
vom GEOMAR, ebenfalls Co-Autor der neuen Studie.
Es war bereits
bekannt, dass es am Ilopango zwischen dem dritten und sechsten
Jahrhundert einen massiven Ausbruch gegeben haben muss. „Dieses Ereignis
wird in der Fachwelt ‚Tierra Blanca Joven‘, kurz TBJ, oder zu deutsch
‚junge weiße Erde‘ genannt. Es muss so gewaltig gewesen sein, dass die
vulkanische Wolke fast 40 Kilometer in die Atmosphäre aufstieg“, erklärt
Dr. Kutterolf.
Mit Hilfe der Proben aus dem Kieler
Sonderforschungsbereich sowie weiteren, die im Rahmen des International
Ocean Discovery Programms aus dem Meeresboden des Pazifiks gewonnen
worden waren, konnte das internationale Team die TBJ-Eruption präzise
auf das Jahr 539 datieren und ihre Spuren weit in den Pazifischen Ozean
verfolgen. So konnte es auch das Eruptions-Ausmaß verifizieren. „Gut
erhaltene Stämme von Bäumen, die von der eruptierten Asche
eingeschlossen wurden, gaben uns die Möglichkeit, Profile von
14C-Datierungen quer zu den Wachstumsringen zu messen. Dadurch wurde die
Altersdatierung wesentlich genauer als bisher mit Einzelmessungen“,
erklärt Dr. Freundt.
„Zusammengefasst passt die
Ilopango-Eruption 539 genau in das Täterprofil der gesuchten zweiten
Eruption, die zur Krise der 540er Jahre geführt hat. Das ist ein schönes
Beispiel, dass scheinbar lokal interessante Grundlagenforschung zu
global bedeutsamen Ergebnissen führen kann“, fasst Dr. Kutterolf
zusammen.
Originalarbeit:
Dull, R. A., J. R. Southon, S. Kutterolf,
K. J.Anchukaitis, A. Freundt, D. B.Wahl, P. Sheets, P. Amaroli, W.
Hernandez, M. C. Wiemann, C. Oppenheimer (2019) Radiocarbon and geologic
evidence reveal Ilopango volcano as source of the colossal ‘mystery’
eruption of 539/40 CE. Quaternary Science Reviews, https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2019.07.037