Interessante Neuigkeiten zum IPWW: Intergovernmental Panel on Wild Water (Achtung Satire!)

von Christian Knauer

Vor dem Hintergrund mehrerer länger anhaltender Regenphasen wurde ich von der Regierung beauftragt „Die Erforschung des Einflusses des Menschen auf den Wasserhaushalt“ zu untersuchen. Nach der Auswertung der Regenentwicklung seit Beginn der Wetteraufzeichnung und verschiedener sogenannter Proxywerte manifestiert sich die Theorie, dass der Mensch schuld daran ist. Durch steigende Grundwasserentnahme bei gleichzeitig voranschreitender Oberflächenversiegelung durch Bauwerke und Straßen trägt der Mensch immer mehr Grundwasser in den oberflächigen Wasserhaushalt ein. Dies führt zu verstärkter Wolkenbildung in der Atmosphäre und damit zu Regenwasser, welches nicht im ausreichenden Maße versickern kann und daher in absehbarer Zukunft einen unumkehrbaren Runaway-Effekt erzeugt, welcher nicht mehr zu stoppen sei, falls bestimmte Kippmomente durch weiteren Eintrag überschritten würden.

Die Vorboten der sich anbahnenden Katastrophe könne man z.B. anhand der Flutwelle in Istanbul schon jetzt beobachten. Allerdings seien noch einige Fragen, insbesondere in Hinblick auf globale Kollateralschäden zu erforschen. Die Regierungsspitze ist von dieser Theorie so begeistert, dass sie sich fortan „Wasserkanzlerin“ nennt, einen von mir geleiteten Wissenschaftlichen Beirat etabliert und sofort jede Menge Forschungsgelder bereitstellt u.a. für das ebenfalls von mir geleitete Paderborn-Institut für Konsenswasserforschung (PIK). Mir wird schnell klar, dass da noch mehr zu holen ist. Um meinen weiteren Forderungen Nachdruck zu verleihen, stelle ich düstere Prognosen auf und behaupte, dass die neulich in der Sahara stattgefundenen stärksten Regenfälle seit 30 Jahren ebenfalls durch meine Theorie erklärt werden können, da Wolken durch die Durchmischung der Atmosphäre und durch Winde nicht lokal auf Deutschland begrenzt werden können. Deshalb müsse das Problem global gelöst werden.

Die Regierung wirbt bei anderen, ebenso versiegelten Ländern für meine Theorie, welche von den anderen Regierungen schlussendlich akzeptiert wird. Eine internationale politische Institution, das IPWW (Intergovernmental Panel on Wild Water) wird ins Leben gerufen und wählt aus vielen, dem IPWW zugearbeiteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen diejenigen aus, die meine These unterstützen. Die anderen werden aus Gründen der eigenen Legimitation nie veröffentlicht oder erfolgreich ignoriert. Um wissenschaftlichen Anschein zu erwecken, lässt das IPWW die Berichte von den Autoren untereinander und anderen linientreuen Wissenschaftlern verifizieren. Nach weiterer Überarbeitung und Umformulierung der Berichte wird das Manuskript für Entscheider der Regierung vorgestellt. 

Zeitweilig werden skeptische Stimmen von Wissenschaftlern laut, die meine These nicht unterstützen und anmerken, dass aufgrund von Westwinddrift, Corioliskraft, Mondumlaufbahn und anderen Dingen die Saharastarkregen nicht aus Deutschland kommen könnten. Außerdem widersprächen die real beobachteten Messwerte meinen modellierten Werten. Ich ignoriere die ketzerischen Stimmen und beharre unbeirrt auf meiner Theorie. Sicher gäbe es da noch weit weniger spektakuläre Erklärungen, wobei die einer natürlichen Varianz mir am unbehaglichsten ist, da ich dadurch meine Existenzberechtigung verlieren würde. In meinen Diagrammen verwende ich nur Zeitausschnitte, die bei der Interpolation ausschließlich einen stets monoton steigenden Trend zulassen und untermaure damit meine Theorie.

Da ich mittlerweile viele Gläubige meiner These gefunden habe, die zudem ganz gut von meiner geschaffenen Welt des Neuen Verständnisses leben können, ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein kanadisch-japanischer Mitstreiter mindestens Strafverfolgung und Gefängnis für Abtrünnige des von uns selbst definierten Konsenses fordert und Grundwasserskeptiker fortan als Grundwasserleugner verschrien werden, um die Bösewichte via Assoziation mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte auf das Abstellgleis zu stellen. Ich behaupte ständig, dass in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Einklang über meine Theorie besteht, die Debatte vorbei und alle Zusammenhänge verstanden seien und sehe auch keinen Anlass zu einem Richtungswechsel als nach vielen Prognosen aus Modellrechnungen die Wirklichkeit höchst signifikant von meinen Prognosen abweicht.

Lautes Schreien und Selbstgerechtigkeit waren schon immer Schlüssel zum Erfolg. Das funktioniert so gut, dass über alle Parteien hinweg offiziell Einigkeit über die Richtigkeit meiner Theorie herrscht und jedes Konterkarieren dieser These unweigerlich zu politischem Selbstmord führt. Das weiß auch die Presse, die ja bekannter Weise von Sensationen und Katastrophen lebt und so einen Dauerbrenner für die nächsten knapp hundert Jahre bekommt. Die journalistischen Grundsätze zu denen sich ein Journalist verpflichtet hat, werden neu definiert. Objektivität und Ausgewogenheit sowie kritisches Hinterfragen gelten nicht mehr.

Damit meine Theorie nicht nur von den Gutmenschen akzeptiert wird, muss ich Ängste schüren und die Apokalypse beschwören, und wähle für meine simulierten Schwarzmalprognosen bewusst nicht den Begriff Prophezeiung, sondern Szenario. In den dunkelsten Tönen beschreie ich die unabänderlich bevorstehende Sintflut für die Jahrhundertwende, wenn nicht – ja wenn nicht ALLE WELTWEIT bereit wären, sich meinem Ökodiktat zu unterwerfen und die von mir vorgeschlagene Grundwasserentnahme um mindestens 80% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.

Dazu seien aus meiner Sicht u.a. folgende kostspielige Maßnahmen notwendig:

  • wenn möglich bestehende Oberflächenversiegelung zu entsiegeln (Niederschlagsabgabe verzehnfachen)
  • neue Versiegelung begrenzen (Ausbaustopp der Infrastruktur, Bauland massiv verteuern)
  • Grundwasserentnahme begrenzen (Zwangsabgabe, Ökosteuer auf Wasserpreis, alternative Waschmittel wie Trockenshampoo und Vogelbad fördern).

 

Und dieses Mantra wiederhole ich, immer und immer wieder, bis sich auch die letzte Synapse im Hirn des Medien-Konsumenten gleichgerichtet hat. Dafür werde ich mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Eigendynamik: Eine Unzahl von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen führt mannigfaltige, teils bizarre Studien durch. Biologen erhalten Forschungsgelder, um das Paarungsverhalten des Quastenflossers vor dem Hintergrund des Grundwassereintrages in die Atmosphäre zu erforschen. Chemiker entwickeln eine Biersorte auf Basis von Urin – das Reinheitsgebot fällt. Grundwasser taucht in der Roten Liste auf und darf ab sofort nur noch in Einzelfällen auf Rezept verabreicht werden. Das Plumpsklo erlebt seine Renaissance. Dass Grundwasser böse und schädlich ist, steht in jedem Lehrmaterial ab dem ersten Schuljahr. Schwimmen ist nicht mehr olympische Disziplin. Dispersionsfarbe auf Wasserbasis wird verboten und Acryllacke werden subventioniert.

Doch Unheil droht. Abermillionen Menschen aus Entwicklungsländern haben Durst und wollen auch am Fortschritt teilhaben. Dazu benötigen sie jedoch Wasser, welches häufig mangels Niederschlag und Trinkwasserseen nur als Grundwasser vorhanden ist. Die Zeit für weltweite Abkommen und Wasserzertifikate ist gekommen. Durch meinen Kreuzzug gegen das Grundwasser bin ich mittlerweile zu einigem Reichtum gekommen, der es mir ermöglicht, ein großzügiges Schwimmbecken mein Eigen zu nennen, und Schwimmen ist ja gesund (solange man es sich leisten kann). Unglücklicherweise steht das im Widerspruch zu meinen Forderungen nach Einschränkungen im Grundwasserverbrauch und wiederaufbereitetes Wasser aus Kläranlagen mag ich nicht akzeptieren. Doch lässt sich dieses Problem leicht lösen, indem ich private Wasserzertifikate von einer Firma, in deren Vorstand ich bin, erstehe und damit meine Weste mit Regenwasser reinwaschen kann.

In meiner Weitsicht habe ich natürlich das Eintreffen der Apokalypse so weit in die Zukunft gelegt, dass ich mit Sicherheit nicht mehr belangt werden kann, wenn die Sintflut dann doch nicht kommt. Andererseits habe ich noch Spielraum und kann bei sinkender Akzeptanz meiner geldbringenden Theorie in der Gesellschaft die Apokalypse vorverlegen, und wenn sie dann nicht eintritt, behaupten dass alle meine vorgeschlagenen Maßnahmen gefruchtet haben und ich die Welt somit gerettet hätte. Schwindende Akzeptanz ist nicht unwahrscheinlich, denn durch die Maßnahmen wird jedes Produkt teurer, da die Flächen für Produktionshallen teurer werden, ebenso wie das Wasser zur Herstellung und der jeweilige Preisanstieg selbstverständlich auf den Endverbraucher abgewälzt wird.

Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, gleicht jedes Problem einem Nagel und abgesehen vom Durchschnitt des gesunden Menschenverstandes erscheint doch alles noch normal, oder? Und so ist es nicht verwunderlich, dass weniger hoch entwickelte Länder schon mal prophylaktisch einen jährlichen abermilliardenschweren virtuellen Ablassbrief bei den Weltretterstaaten einlösen wollen, für Dinge, die in vielen Jahren aufgrund meiner Modelle ja passieren werden und für die sie ja gar nichts könnten. Und man bittet schon mal vorsorglich um Asyl, da die von uns verursachte Sintflut doch laut meiner Modelle das vollständige Überschwemmen und Verschwinden des eigenen Landes berechnet hat. Not macht erfinderisch.

Nur die Regierung wird sich dank sprudelnder Einnahmen weiterhin erfreuen: Über die Mehrwertsteuer, Ökosteuer, Abgaben, Grundwassersteuer, Entwicklungsländer-Soli, usw. Nur die Regierung? Nein, auch die (Rück-) Versicherungen haben ein massives Interesse an meiner Theorie, denn damit lassen sich mühelos hohe Prämien durchsetzen. Und natürlich die Hersteller und Dienstleister der auf ewig anschubfinanzierter neuen sinnfreien Produkte. Das Risiko der Regierung ist ebenfalls begrenzt, denn sie wird auf das IPWW verweisen und ihre Unschuld proklamieren. Und so großartige Menschen wie meine Wenigkeit, die solch ertragreiche Geschäftsmodelle entwerfen, wird man auch in Zukunft benötigen.

Der Wecker klingelt und mit einem Schlag ist der Wasser-Albtraum vorbei. Endlich bin ich wach. Aber halt. Die Story stimmt doch. H2O heißt CO2.

 

Der Text stammt aus dem Jahre 2009, ist aber aktueller denn je.
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