Die Windkraft, Bürger und Vögel: Wenn nicht wahr sein soll, was wahr sein kann

Es scheint der Windenergiebranche derzeit schwerzufallen, mit bestimmten Realitäten umzugehen. Die Vertreter der Verbände schimpfen momentan über den schleppenden Ausbaus der Windkraft in Deutschland, in erster Linie aber mit dem Bundeswirtschaftsministerium, welches sie dafür verantwortlich machen. Dieses plant beispielsweise den Mindestabstand von Windkraftanlagen (WKA) zu Siedlungen mit mehr als 5 Gebäuden auf 1.000 Meter auszudehnen.

Rechtsstaat und Artenschutz stören nur

Ein Dorn im Auge der Windindustrie sind die bundesweit mindestens 1.000 Bürgerinitiativen, die sich gegen den Ausbau von WKA in ihrer Nachbarschaft wehren. Weil nicht jedem, vor allem der Windenergiebranche, der Rechtsweg in einem Rechtsstaat passt, soll der Gesetzgeber diesen einschränken. Beschleunigung von Verfahren nennt sich diese Einschränkung. Rechtswege sind aber ein Wesen des Rechtstaates bzw. Demokratie, selbst wenn einem das Anliegen nicht gefällt. Einschränkungen zugunsten einer bestimmten Industrie müssen zwangsläufig wie eine Beschränkung des Rechtsstaates und somit der Demokratie wirken. Der wehrhafte Bürger wird quasi kaltgestellt.

Die Windkraft-Lobby wird daher nicht müde, Umfragen zu veröffentlichen, dass ein Großteil der Bevölkerung Windkraft positiv sehen würde. Das mag sogar grob stimmen, denn die meisten Menschen sind nicht von WKA betroffen. Aber selbst die positivste Einstellung gerät auf den Prüfstand, wenn so ein Koloss, der mittlerweile mehrere Hundert Meter hoch sein kann, mit allen Nebenwirkungen tatsächlich in der Nähe eines Wohnsitzes errichtet wird. Da nützt die abgedroschene Phrase von „die Menschen mitnehmen“ leider auch nichts mehr. Einen Menschen, dem Beeinträchtigung der Lebensqualität oder gar Wertverlust seiner Immobilie ins Haus steht, kann man schlecht mitnehmen. Der bleibt in der Regel wo er ist und muss mit den Folgen täglich leben. Möglicherweise meint „Mitnehmen“ aber auch etwas ganz anderes?

Unter Freunden

Es gibt neben dem Kampf gegen das Ministerium und die zahlreichen Bürgerinitiativen aber noch eine weitere Front, die erheblich brisanter ist. Mittlerweile positionieren sich Naturschutzverbände und Organisationen, die man doch eigentlich im gleichen Camp wähnte, gegen Windkraftprojekte. Der Grund ist der Artenschutz, dem sich solche Einrichtungen verpflichtet fühlen. Der Artenschutz soll nach dem Willen der Windlobby neben dem Rechtsstaat nämlich ebenfalls verklappt werden, denn auch er stört. So langsam aber sicher tauchen immer mehr Berichte und Studien auf, die den Windmühlen kein gutes Zeugnis ausstellen, was die Vogelwelt und dort u. a. besonders die Greifvögel aber auch was Seevögel bei Offshore-Anlagen angeht.

Simone Peter: Nebelkerzen einer Biologin Lobbyistin

Eine Windenergie-Lobbyistin wie Simone Peter, ehemalige Chefin der Grünen, wird daher nicht müde, munter die Nebelkerzen ihrer Industrie per Twitter zu werfen. Eine davon ist eine Schätzung, wie viele Vögel pro Jahr durch Katzen, Fensterscheiben oder Auto in Deutschland ums Leben kommen. Dass hier Äpfel oder besser Gartenvögel mit Birnen nämlich Greifvögeln verglichen werden, sollte eigentlich auch einer Biologin bekannt sein. Frau Peter offenbar nicht. Negativer Höhepunkt war das Retweeten einer journalistischen „Glanzleistung“ von Frontal 21. Hätten die Journalisten wenigstens etwas Recherche betrieben: Die Stagnation des Bestandes an Rotmilanen (die allen Ernstes als Erholung verkauft wird! Der Naturschutzbund NABU geht sogar von einem Rückgang aus!!) insgesamt kommt aus Gebieten mit wenig WKA. Dort nimmt der Bestand nämlich zu. In Bereichen mit vielen WKA geht der Bestand zurück. Für diese Erkenntnis war aber wohl keine Zeit und auf der Grafik kein Platz.

Spätestens, wenn in einem dicht bebauten Windenergiegebiet wie der Irischen See rund um die Isle of Man ein dramatischer Rückgang an Seevögeln (aber auch Fischen) bei einem Zensus festgestellt wird, sollte auch klar sein, dass Fensterscheiben, Autos und Katzen keine plausible Erklärung sein können, auch wenn das so schön einfach klingt.

Die Lobbyverbände waren sich auch nicht zu schade ein Schweizer Ingenieurbüro den Bestand an Rotmilanen (sie gelten als besonders gefährdet) in Deutschland schätzen zu lassen und das Ergebnis in einer Infobroschüre zu veröffentlichen. Das hanebüchene Resultat wurde sogar dem Naturschutzbund Deutschland NABU zu dumm. Im Jahr 2016 veröffentlicht er daher eine Stellungnahme.

„Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese Studien schnell als interessengeleitete Lobby-Papiere. Hier werden selektiv ausgewählte Fakten aus nicht vergleichbaren Quellen in irreführender Weise vermengt. So schafft es der Autor beispielsweise, einen deutschlandweit leicht zurückgehenden Rotmilanbestand in einen dramatischen Bestandsanstieg umzudeuten.“

Ohnehin verwies der NABU bereits 2015 auf Probleme bei der Beachtung des „Neuen Helgoländer Papiers“, welches die Arbeitsgemeinschaft der staatlichen Vogelschutzwarte erarbeitet hatte.

„Der NABU befürwortet den naturverträglichen Ausbau der Windkraft sowohl an Land wie auf dem Meer, weist jedoch auf gravierende Versäumnisse bei der Standortwahl und der Umsetzung einzelner Projekte hin. Trotz aller Bekenntnisse der Branche ist wiederholt festzustellen, dass Naturschutzbelange nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt und auch höchst kritische Projekte realisiert werden.“

Die Lobbyverbände haben den Vogelschutzwarten übrigens jegliche Kompetenz abgesprochen. Das ist in sich sogar logisch, denn so kann man sich über die Empfehlungen guten Gewissens hinwegsetzen.

Forschung statt bunter Flyer und Nebelkerzen


Man darf sich fragen, warum die Windenergie solche Probleme hat, der Realität ins Auge zu blicken und sogar Konsequenzen zu ziehen? Den im Bestand bedrohten Greifvögeln nützt es herzlich wenig, wenn man ihnen sagt, sie sollten Fensterscheiben, Autos und Katzen besser meiden denn diese sind heute schon nicht der Grund für den Rückgang und die Gefährdung von Greifvogelpopulationen. Über die möglichen Auswirkungen von WKA wie den Rückgang von Fischbeständen und Seevögeln rund um Offshore-Windparks müsste dringend geforscht werden und zwar unabhängig. Die Diskussion danach sollte sachlich sein und nicht wie jetzt, wo Kritikern und Artenschützern vorgeworfen wird, nicht um jede überfahrene Amsel oder aufgefressene Meise gebührend zu trauern.

Vielleicht kommt am Ende ja sogar so etwas wie Selbsterkenntnis heraus, dass keine Energiegewinnung ohne Nebenfolgen ist. Möglicherweise wächst ja auch die Einsicht, dass Rechtsstaat und Artenschutz Errungenschaften einer Demokratie sind und nicht bloß Hindernisse einer Industrie beim Geldverdienen.



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