Die Tragik des Hühnchens

Huch, wird sich jetzt der eine oder andere fragen, was für eine merkwürdige Überschrift, aber wir klären das gern einmal auf. Erst kürzlich haben wir über den Auftritt der Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei Maischberger berichtet. Dort versuchte sie ein Interview, das sie dem Deutschlandfunk in 2018 gegeben hatte, als Fake News umzudeuten. Das Interview ist aber nach wie vor verfügbar und jeder kann sich anhören bzw. lesen, was Baerbock damals gesagt hat.  Sogar der in Sachen Klima/Energie unverdächtige Heise Verlag widmete dem Interview und dem Netz als Speicher einen langen Artikel über den wir berichteten. Gemeint war eindeutig Strom.


(Abbildung: Screenshot ARD Mediathek)

Bei Maischberger nahm der Studiogast Frank Thelen die Aussage vom Netz als Speicher aus 2018 wieder auf und Baerbock hatte Gelegenheit zu Stellungnahme. Man könnte kurzgefasst sagen, sie hat es komplett vergeigt und eher noch schlimmer gemacht. Aus dem Maischberger Interview stammt diese Aussage von Baerbock:

„Wir haben Grundlast durch Biomasse und – das ist neu – das ist auch interessant für Start-Ups und Unternehmen (wollte sie hier bei Thelen punkten?), zum Beispiel Rechenzentren und große Supermärkte, die dann als Energieerzeuger <sic> in den Markt reinkommen.“

Der Reihe nach: Natürlich kann Biomasse einen gewissen Anteil an der Grundlast bei der Stromproduktion haben, und nur um die geht es in Sachen Dunkelflaute. Momentan beträgt die maximale Kapazität etwa 8,55 GW. Das allein würde aber nicht reichen, um Deutschland mit Strom zu versorgen. Es sind je nach Zeitpunkt zwischen ca. 15-20% des Bedarfs. Eine Grafik für den Mai 2021 macht das deutlich. Der dunkelgrüne Bereich ist der Anteil von Biomasse bei der Stromerzeugung. Die Aussage von Baerbock ist also falsch bzw. unpräzise. Biomasse kann einen gewissen Teil der Grundlast bei der Stromproduktion tragen, das wäre korrekt. Das hat mit dem, was dann folgt aber nicht wirklich etwas zu tun.

(Abbildung: Screenshot Energy-Charts.info)

Von da an gehen aber mehrere Dinge komplett durcheinander bei Baerbock beim Interview. Rechenzentren und Supermärkte sollen für Start-Ups und Unternehmen interessant sein, weil diese Energieerzeuger! sind? Meint sie hier Abwärme? Wenn ja, dann wäre das völlig am Thema vorbei. Es sind ganz klar Energie- bzw. Stromverbraucher, es sei denn auf den Dächern befinden sich Solaranlagen. Das aber kann Baerbock unmöglich gemeint haben, denn das wäre ja wieder volatil und eben nicht verlässlich für eine Grundlast. Abwärme scheidet aus, weil das kein Strom ist und daher auch kein Speicher für Strom. Aber dann wird es wirklich tragisch und das Hühnchen kommt ins Spiel.

„Wenn eine Kühlung bei einem riesengroßen Produzenten von minus 22 Grad in Zukunft dann auf minus 20 Grad runterkühlt, dann ist das Hühnchen immer noch kalt, aber wir können an der Grundlast das Netz stabilisieren.“

Was Baerbock hier verwechselt ist das Speichern von Strom und das Management von Last. Sie muss hier eindeutig Strom meinen, denn zum Kühlen wird Strom benötigt. Speicher und Last-Management sind aber so grundverschiedene Dinge, dass man als Zuschauer dieser Talkshow gern laut geschrien hätte, weil es unsäglich ist, so etwas zu verwechseln. Ganz besonders für eine Politikerin, die sich gern als Expertin bezeichnet.

Vermutlich meint sie smarte Systeme, die bei einer Kühlung dann weniger Strom verbrauchen wenn weniger gekühlt wird. Aber warum sollte der Produzent von Tiefkühlhühnchen seine Ware tiefer kühlen als er es notwendigerweise müsste? Kaufmännisch wäre das nicht sinnvoll, da es höhere Kosten erzeugt. Ob Baerbock wenigstens einmal darüber nachgedacht hat? Wer flüstert ihr bitte solche Beispiele? Oder denkt sie sich so etwas tatsächlich selber aus? Kein Wunder, dass auf Twitter mächtig gespottet wird.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Wir halten fest, weder Supermärkte noch Rechenzentren noch Tiefkühlhäuser von Hühnchen-Produzenten sind Stromerzeuger. Sie können nicht als Energieerzeuger in Betracht kommen, jedenfalls nicht für Strom und genau um den geht es beim Netz als Speicher. Aber auch Last-Management ist eine Sache für sich und es sind leider extrem schlechte Beispiele, die sie wählt.

Es dürfte bei Rechenzentren zudem schwer sein, diesen schwankend Strom zur Verfügung zu stellen. Server mögen es nicht so gern, wenn ihnen der „Saft“ unvermittelt abgedreht wird. Nicht korrekt geschlossene Datenbanken können ein ernstzunehmendes Problem werden. Auch ein Supermarkt dürfte wenig Freude haben, wenn ihm der Strom gedrosselt werden sollte und wichtige Kühlung ausfällt. Ein Supermarkt wird Waren ebenfalls nicht tiefer kühlen als er müsste, erneut aus Kostengründen.

Was auch immer Baerbock ritt, solche absurden Beispiele für ihr Argument das Netz als Speicher zu nennen, sie gehen allesamt fehl. Sollte sie Berater haben, dann wäre es dringend angeraten, dass die ihr den Unterschied zwischen Speicher und Lastmanagement erklären. Sie hat versucht eine verunglückte Aussage im Nachhinein zu berichtigen, sie macht es aber eigentlich noch schlimmer. Ehrlicher wäre es, wenn sie im Nachhinein sagen würde, die Aussage Netz als Speicher war ziemlicher Quatsch, denn das trifft hier zu.

Wir haben ja schon mal vom Schaffen einer Fallhöhe durch die Medien gesprochen. Das passierte bei Baerbock unmittelbar nach der Nominierung zur Grünen Kanzlerkandidatin. Jetzt scheint ein Niveau erreicht zu sein, wo man als Medium wieder draufhauen kann. Ein Beispiel dafür sind zwei Titelabbildungen vom Spiegel beim Twitteraccount von  Greenwatch. Zwischen beiden Titeln liegen gerade einmal 5 Wochen.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Die Art und Weise, wie sachliche Kritik an Baerbock von ihr aber auch Parteikollegen als Fakenews, Hetze und Hass abgetan wird, ist allerdings Grund zur Besorgnis. Wenn das die Reaktion auf berechtigte und fundierte Kritik ist, dann ist der Diskurs eigentlich sinnlos.

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