Die Sonne im März 2015 und Eiszeitvisionen

Von Frank Bosse und Fritz Vahrenholt

Unser Zentralgestirn präsentierte sich im vergangenen Monat weiterhin recht müde. Die festgestellte SunSpotNumber (Sonnenfleckenzahl, SSN) betrug nur 38,4. Das sind 46% dessen, was in diesem Zyklusmonat als Mittelwert aller bewerteten seit 1750 beobachtet wurde.

Abb.1: Der aktuelle Zyklus (SC) 24 im Vergleich zu einem mittleren Zyklus ( blau) und dem bis vor einigen Monaten recht ähnlichen Zyklus 1 (schwarz), aufgezeichnet  1755-1766.

 

Der Vergleich der einzelnen Zyklen untereinander verfestigt das Bild der sehr ruhigen Sonne im Vergleich zu dem, was wir in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sahen:

Abb.2: Der Vergleich der Zyklen. Die Zahlen sind die aufsummierten monatlichen SSN-Abweichungen vom Mittelwert vom ersten bis zum aktuellen 76. Monat aller Zyklen.

 

Seit dem SC7 etwa 1830 wurde kein so gering aktiver Sonnenzyklus beobachtet wie der aktuelle. Ganz entscheidend bei der Frage nach den Ursachen sind die polaren Magnetfelder der Sonne. Wir hatten darüber bereits ausführlich berichtet (siehe „Die Sonne im Januar 2014 und Neues vom polaren Sonnenfeld„). Seit der letzten Datenaufnahme sind schon einige Monate ins Land gegangen und wir sind heute 2 Jahre vom angenommenen geglätteten Maximum entfernt. Die polaren Felder haben den Nulldurchgang bereits im März 2013 vollzogen, die Daten kann man beim Wilcox Solar Observatory (WSO).  Dort ist auch offenkundig, dass besonders das nordpolare solare Feld noch immer kaum etabliert ist. Wie ordnet sich diese Feststellung historisch ein? Die Daten der polaren Felder werden erst seit Beginn der 70er Jahre erfasst, ein viel zu kurzer Zeitraum für aussagefähige Vergleiche. In einer Arbeit aus dem Jahre 2012 benutzten die Autoren um Andrés Muñoz-Jaramillo die schon seit etwa 1900 vorgenommenen Beobachtungen von polaren „Sonnenfackeln“ als Proxy für die polaren Felder. Der Hauptautor der Arbeit war so freundlich, den Verfassern dieses Berichtes die Daten zu überlassen und so ist es möglich, die gegenwärtigen Verhältnisse mit einer längeren Reihe zu vergleichen:

Abb.3: Die relative Stärke der polaren solaren Felder seit 1900.

 

Daraus wird deutlich, dass es seit 1900 im Jahr zwei nach dem Maximum noch nie so schwache polare Felder gab wie gegenwärtig beobachtet. Man beachte, dass die Stärke der polaren Felder während des Sonnenfleckenminimums die Aktivität des nächsten Zyklus ganz entscheidend bestimmt. Eine aktuelle Arbeit von Robert Cameron und Manfred Schüssler bestätigte das. Man muss wohl noch ein wenig abwarten und aufmerksam auf den Aufbau der Felder an den Polen der Sonne achten um eine Vorhersage zu wagen. Die Vorzeichen jedenfalls deuten auf eine recht geringe Ausprägung hin und damit auf einen vielleicht noch schwächeren Zyklus 25 ab etwa 2022.

 

Steht der Golfstromzusammenbruch bevor?

Sehr viel Staub wirbelte im vergangenen Monat eine Arbeit in „Nature“ auf:  Die Autoren um Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung-PIK- (darunter auch Michael Mann) wollten eine dramatische und vor allem mit einem starken Langzeit-Abwärtstrend versehene Abschwächung des Golfstromsystems nachgewiesen haben. Auch wir hatten hier oft über die interne Variabilität im nördlichen Atlantik berichtet (siehe u.a. unsere Blogartikel „Neues vom Nordatlantik: Das natürliche “Day after Tomorrow“- Szenario?„, „Die Sonne im April 2014 und was uns die Ozeane bis zum Jahresende bescheren könnten„), betonten jedoch immer, dass es sich bei diesen Schwankungen um natürliche Fluktuationen handelt. Rahmstorf u.a. dagegen behaupten: Es gibt eine langfristige Abschwächung im nordwärts gerichteten ozeanischen Wärmestrom, hervorgerufen durch einen immer stärkeren Süßwassereintrag durch das schmelzende Grönlandeis, hervorgerufen durch menschgemachte Erwärmung.

Abb.4: Der inverse Hockeystick (Bild 3b der zitierten Arbeit), der die Stärke des Golfstromsystems beschreiben soll.

 

Das sieht ja dramatisch aus, nicht wahr? Seit etwa 1850 ein beständiges Fallen, wohin soll das führen? In der Pressemitteilung des PIK finden sich düstere Ahnungen:

„Wenn die Strömung zu schwach wird, könnte sie sogar vollständig zusammenbrechen – die atlantische Umwälzung wird schon lange als mögliches Kipp-Element im Erdsystem betrachtet. Als Kippen wird hierbei eine vergleichsweise rasche und nahezu unumkehrbare Veränderung bezeichnet.“

Unterschwellig wird hier das Spielfilmszenario von „The day after tomorrow“ bemüht, die Klimaerwärmung schmilzt das Grönlandeis und der Mensch stürzt sich selbst in eine Art Eiszeit.

Werfen wir einen Blick auf die Entstehung der Abbildung 3b (vgl. oben Bild 4)  der Arbeit. Links der erste Hinweis: Es wurden von den Temperaturen des „Subpolaren Gyres“ (SSTspg), ein Gebiet im Nordatlantik etwa 45N-60N; 50W-20W, die Temperaturen der gesamten Nordhemisphäre (Tnh) subtrahiert. Die entsprechenden Daten gewann man bis zurück ins Jahr 900 aus Proxydaten. Jetzt wird auch klar, welche Rolle M. Mann im Autorenteam übernahm, er lieferte die „Hockeystick-Kurve“ für die Temperaturen.

Wir wissen mittlerweile, dass die Hockeystick-Kurve einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standhält. S. McIntyre und R. McKitrick konnten zeigen, dass das von Michael Mann verwendete statistische Verfahren grundlegend fehlerhaft ist und dazu neigt, Hockey –Stick Kurvenverläufe aus nahezu beliebigen Datensätzen zu generieren. Die unrühmliche Geschichte des Hockey-Sticks ist in „ Die kalte Sonne“ S. 125 ff. beschrieben. Dass die Kurve noch einmal als Basis für eine wissenschaftliche Publikation verwandt wird, macht diese Arbeit nicht eben glaubwürdiger.

Abb. 5: Der „Hockeystick“ für die Temperaturen der nördlichen Hemisphäre (NH) nach Michael Mann.

 

Es gibt reichlich Literatur zur Bewertung der „Atlantischen Meridionalen Overturning Circulation“ (AMOC), die in der Rahmstorf-Arbeit mit „Golfstromsystem“ gemeint ist. (Der eigentliche Golfstrom ist windgetrieben und wird nicht versiegen solange sich der Erde dreht und die Sonne scheint.) In keiner der vorliegenden Arbeiten wird die in Rahmstorf u.a. (2015) benutzte Operation AMOC= SSTspg- Tnh praktiziert. Sie muss bei nur kürzeren Schwankungen in den SSTspg zwangsläufig den in Abb. 4 gezeigten Hockeystick produzieren. So betonen auch andere mit der Materie vertraute Wissenschaftler ihre großen Zweifel. Ed Hawkins geht da recht weit, indem er schreibt: „Rahmstorfs Arbeit steckt voller Widersprüche, die Unsicherheiten sind weit untertrieben dargestellt… Ich habe mit verschiedenen Kollegen gesprochen, die erhebliche Zweifel haben an den Folgerungen der Arbeit. Ich denke es gibt mehr gesunde Skepsis in der Gemeinde als man von außen erkennen kann.“

Der Grund für die Skepsis: das Nichterwärmen der Region des Subpolaren Gyres (SPG) im Nordatlantik zwischen 1901 und 2013, das in Bild 1b der Arbeit dargestellt ist, wird samt und sonders auf ein Nachlassen der AMOC zurückgeführt.

 

Abb.6: Die Temperaturtrends 1901-2013 der nordatlantischen Region. (Quelle: Bild 1b der zitierten Arbeit)

 

Es gibt auch andere Erklärungen für das Phänomen: Im Winterhalbjahr reicht die von der Oberfläche her durchmischte Wassersäule (Mixed Layer) sehr tief, bis zu über 500  m Wassertiefe. Wir hatten dies hier bereits thematisiert. Eine Erwärmung der Oberfläche  unterbleibt, anders als in Regionen mit nicht so tiefem Mixed Layer. Betrachten wir die monatlichen Trends der Größe SSTspg so sehen wir, dass die kühlende Wirkung in Abb.6 in den Monaten November- April auftritt. Im Sommer ist der Mixed Layer dort ebenso wie in anderen Regionen nur wenige Dutzend Meter tief und die „blaue“ Region in Abb. 6 erwärmte sich in dieser Zeit wie andere Gebiete der Umgebung. Das ist das Ergebnis von Wind und Wetter, nicht eines sich langfristig abschwächenden nordatlantischen Stromes. Es gibt daher viele Studien, die allein in der  Temperaturentwicklung des SPG die Wirkung der AMOC sehen und eben nicht die Subtraktion der Tnh für den Nachweis der Stärke der Strömung anwenden.

In der Rahmstorf et al.-Studie wird dies getan und eine Begründung dafür liegt ca. 2000 km entfernt. Die SSTspg , von denen die Tnh in Abb.4 subtrahiert wurden, werden in der Arbeit aus Proxys gewonnen. Wie hätte man jedoch die Wasseroberflächentemperaturen mitten im Nordatlantik mit der notwendigen Auflösung bestimmen können? In der Arbeit lesen wir einen Verweis auf eine frühere Arbeit mit Proxydaten südöstlich der Insel Nova Scotia vor der Nordostküste Amerikas. Es wurden Kaltwasserkorallen am Kontinentalabbruch ausgewertet. Das Wachstum dieser Organismen wird bestimmt durch den Nährstoffgehalt  der umgebenden Wassermasse. In dem meisten Fällen kommt nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe, es ist kälter als die nährstoffärmeren Oberflächenströmungen. Die These von Rahmstorf u.a. lässt sich so zusammenfassen: Eine stärkere AMOC erzeugt einen wärmeren SPG, es sinkt dort mehr Wasser in die Tiefe und kurbelt die kälteren Tiefenströmungen an der Ostküste Nordamerikas an. Dort wachsende Korallen reagieren mit mehr Wachstum und umgekehrt: eine schwächere AMOC bewirkt das Gegenteil. So entstand dieser Teil der Indizienkette:

Abb. 7: Abgleich der Proxydaten (rechts) mit den Beobachtungen (Quelle: Bild 5 der zitierten Arbeit)

 

Es wurden dekadisch geglättete Reihen für die Proxies (rechte Ordinate) mit der beobachteten Temperaturanomalie der Größe „SSTspg – Tnh“ (linke Ordinate) gefittet. Das Fitten von geglätteten Reihen ist problematisch, man kann damit kaum zeitliche Abhängigkeiten bewerten.

Wir haben daher die Berechnungen aus der Arbeit nachvollzogen und die Reihen der jährlichen Daten  ungefiltert untereinander gestellt. Eine hochaufgelöste Darstellung der Proxys gewannen wir aus dieser Quelle auf PNAS; es sind die begleitenden Unterlagen zu der benutzten Arbeit über die Korallenproxys.

Abb.8: Das Wachstum der Korallen nahe Nova Scotia (oben) und die Größe „SSTspg-Tnh“ als das in der Arbeit verwendete Maß für die Stärke der AMOC (unten).

 

Auf den ersten Blick ergeben sich Ähnlichkeiten, deshalb funktioniert auch das Glätten in Bild 7 recht gut. Auf den zweiten Blick kann man jedoch an der oben postulierten Wirkungskette zweifeln. Die Proxys bekamen 1928 einen starken Wachstumsschub, die das bewirkende (?) „AMOC“ hatte einen Peak erst um 1933. Die „AMOC“ hat starke Dellen um 1943 und 1947, das merkten die Korallen nicht. Sie wachsen seit 1980 wieder besser, die „AMOC“ jedoch fällt  weitere 14 Jahre ungebremst und steigt dann rapide an.  Es scheint so, als ob das Korallenwachstum der Entwicklung der „AMOC“ vorauseilte und das ist eher unwahrscheinlich.

Die ganze Aussage des dramatischen Langzeitabfalls der AMOC (vgl. Abb. 4) bleibt daher sehr fragwürdig. Das zeigt auch eine sehr aktuelle andere Arbeit zum Thema. Der Autor Tal Ezer, spezialisiert auf küstenphysikalische Beobachtungen von der Universität in Norfolk, zeigt eine andere Entwicklung der AMOC:

Abb. 9: Die Entwicklung der AMOC seit 1935 , Quelle: Bild 9 der zitierten Arbeit.

 

Was wir hier sehen sind heftige natürliche Kurzzeitschwankungen, das Nachlassen seit 2004, wie es direkt beobachtet wird und einen (nicht signifikanten) ganz leicht fallenden Langzeittrend seit 1935.

Kein „PIK-Kippunkt“ (atlantische Eiszeit??) in Sicht.  Die AMOC schwächt sich seit 2000 nach dem kräftigen Aufwärtshaken nach 1994 als Ergebnis der natürlichen Variabilität ab – und nicht dramatisch seit 1850, wie uns die Arbeit von Rahmstorf suggerieren will.

Alarm mal wieder abgesagt.

 

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