Die etwas andere Klimakatastrophe: Frostiger Mai bereitet den Winzern schlaflose Nächte

Um die Jahrtausendwende hatte Mojib Latif noch davor gewarnt, dass in Deutschland bald Schluss sei mit Schneeballschlachten, Skifahren und der geliebten Kälte:

“Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben”

Das hörten die Obst- und Weinbauern natürlich gerne. Endlich keine schlimmen Nachtfröste mehr, die in einigen Jahren große Teile der Ernte gekostet hatten. Gefahr droht dabei gleich von zwei Seiten: Zum einen lassen die Temperaturminusrekorde im Winter die Rebstöcke absterben. Zum anderen bereiten Nachtfröste im späten Frühling Kummer, welche die frisch gewachsenen Austriebe abtöten, so dass der Rebstock wieder von vorn anfangen muss. Wikipedia weiß es genauer:

„Die Gefahr von Frostschäden ist ein begrenzender Standortfaktor in Weinbaugebieten. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Arten von Frostschäden. Bei strengen Winterfrösten, etwa ab minus 15 Grad Celsius, besteht je nach Rebsorte die Gefahr des Absterbens des Rebstocks. Besonders frosthart ist der Riesling. Namentlich im Weinbaugebiet Sachsen wurden nach der strengen Frostperiode im Januar 2010 mit bis zu 20 Grad unter Null im Elbtal Frostschäden bei Müller-Thurgau befürchtet.

Bei späten Nachtfrösten hingegen besteht die Gefahr, dass die frischen fruchtbringenden Austriebe erfrieren und so ein totaler Ernteausfall für die begonnene Vegetationsperiode eintritt. So hatte in vielen Weinbaugebieten Deutschlands im Frühjahr 2011 durch günstige Witterung die Entwicklung der Reben einen Vorsprung von drei Wochen, als in den Morgenstunden des 4. Mai 2011 nach einem Kaltlufteinbruch mit aufkommender Windstille in ungünstigen Lagen und bodennahen Luftschichten Kaltluftseen entstanden, in denen die Temperaturen auf 3,5 Grad unter den Gefrierpunkt fielen. In den betroffenen Rebflächen waren in der Folge alle grünenden Triebe mit den Blüten und den Blütenknospen abgestorben. Der Rebstock ist zu einem Neuaustrieb gezwungen.“

Ja, Mojib Latif und den Obst- und Weinbauern kamen die harten Winter 2009/2010 und 2010/2011 gänzlich ungelegen (siehe auch S. 97-98 in „Die kalte Sonne“). Der Winter 2011/2012 war da schon wieder deutlich milder, natürlich mit Ausnahme der zwei klirrendkalten Wochen im Februar als wir unser Buch herausbrachten. Als wenn den Menschen von oben jemand damit sagen wollte: „Nehmt die Klimaskeptiker ernst und beschäftigt Euch endlich einmal etwas näher mit dieser wichtigen Materie“.

Die extreme Winterkälte im Februar 2012 haben die Weinstöcke in Deutschland offenbar weitgehend überlebt. In der zweiten Frühlingshälfte wurde es jedoch noch einmal mächtig eng. Mitte Mai 2012 befanden sich die nächtlichen Temperaturen des Rhein-Main-Gebiets in einem regelrechten Sturzflug und drohten die Frostgrenze zu durchbrechen. Durch die enormen Schäden im Vorjahr alarmiert, wurden die Weinbauern aktiv und kämpften mit allen Mitteln um ihre zarten Pflänzchen. Die Allgemeine Zeitung berichtete:

„Als nun Mitte Mai erneut eine Frostnacht drohte, griffen die Ludwigshöher Winzer daher zu einem bislang in Deutschland eher ungewöhnlichen Mittel. Sie organisierten einen Hubschrauber, der mit seinen Flügen über den Ludwigshöher Weinbergen die Reben vor Frostschäden schützen sollte. In Neuseeland wird dies schon seit Längerem praktiziert, in Ludwigshöhe war das jedoch eine Premiere. Auch in der Pfalz, in Franken und im nahen Mettenheim zum Beispiel gab es in diesem Jahr erstmals Hubschraubereinsätze im Kampf gegen Frostschäden.

Dabei musste aber alles ganz schnell gehen. Morgens um neun Uhr habe sich der Ludwigshöher Winzerverein zum ersten Mal besprochen und bereits am Mittag fand dann ein Treffen der Winzer statt, bei dem sich alle für den Helikoptereinsatz aussprachen. Zunächst mussten aber noch eine Reihe von Formalitäten erledigt und Genehmigungen eingeholt werden, bei denen aber VG-Chef Michael Stork die Ludwigshöher toll unterstützt habe. So wurde bei der Firma ‚Deutsche Helikopter‘ ein Hubschrauber angefordert, der am Abend zunächst auf dem Sportplatz gewartet habe. ‚Im Feld wurden dann die Temperaturen gemessen – und um kurz nach vier Uhr morgens hat es geheißen: Er muss los!‘, erzählt Nicole Lamberth. Bei einem Winzer habe das Thermometer nämlich 0,5 Grad Celsius angezeigt, ein anderer habe wiederum ein Wasserschälchen aufgestellt und meinte „Meins fängt an zu gefrieren! Jetzt aber los!“ Schließlich waren die Winzer im Nachteinsatz in den Weinbergen über Walkie Talkies miteinander verbunden. ‚Es war zwar hektisch, aber es ist genial gelaufen‘, meint auch Markus Weber.

Ab 5 Uhr morgens zog der Hubschrauber seine Runden über die Weinberge unterhalb der alten B 9. Durch die Luftverwirbelung der Rotorblätter konnte dabei zum einen die Temperatur in Bodennähe um bis zu eineinhalb Grad erhöht werden, außerdem wurde vermieden, dass sich der Morgentau auf die Weinblätter setzt. Die ungewöhnliche Aktion sei auf jeden Fall erfolgreich gewesen, Frostschäden habe es keine gegeben: Für nächstes Jahr soll nun ein Notfallplan erarbeitet – und mit den Nachbargemeinden über mögliche Kooperationen gesprochen werden. ‚Das wird wahrscheinlich nicht der letzte Hubschraubereinsatz gewesen sein‘, sagt Markus Weber.“

Man plant also schon für die kommenden Jahre. Auf die Prognosen des Weltklimarats sollte man die rettungsfliegenden Rhein-Main-Winzer lieber erstmal nicht ansprechen…

 

Mit Dank an Johannes Herbst für den Themenhinweis.
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