Deutscher Ärztetag fordert Intensivierung der Forschung zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen von Windenergieanlagen: „Eine gesundheitliche Unbedenklichkeit dieser Schallimmissionen ist derzeit nicht nachgewiesen“

Im Rahmen des vom 12.-15. Mai 2015 in Frankfurt abgehaltenen Deutschen Ärztetages wurde folgender Antrag angenommen und an den Vorstand überwiesen:

TOP VI Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Titel:
Intensivierung der Forschung zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen bei Betrieb und Ausbau von Windenergieanlagen

Der Entschließungsantrag von Dr. Bernd Lücke (Drucksache VI – 106) wird zur weiteren Beratung an den Vorstand der Bundesärztekammer überwiesen:

Die Windenergie als eine der erneuerbaren Energieformen wird künftig stärker genutzt werden. Dies ist nach dem im Sommer 2011 beschlossenen Atomausstieg gesellschaftlicher Konsens. Der Ausstieg aus der Atomenergie zeigt, dass problematische Teilaspekte der Nutzung in die Zukunft verschoben wurden; bis heute ist die Frage der Endlagerung der Brennstäbe nicht wirklich gelöst. Bei den erneuerbaren Energieformen sollte daher im Vorfeld der gesamte Lebenszyklus dieser Technologien von der initialen Rohstoffbereitstellung bis hin zur Entsorgung in die Planungen und Risikoabwägungen einbezogen werden. Dieses erfordert wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen, um eine bewusste Abwägung von Nutzen und Zumutbarkeit von validen Beeinträchtigungen sowie Risiken vornehmen zu können. Insbesondere für die Immissionen im tieffrequenten und Infraschallbereich gibt es bisher keine belastbaren unabhängigen Studien, die mit für diesen Schallbereich geeigneter Messmethodik die Wirkungen auch unterhalb der Hörschwelle untersuchen. Somit ist eine gesundheitliche Unbedenklichkeit dieser Schallimmissionen derzeit nicht nachgewiesen.

Der 118. Deutsche Ärztetag 2015 fordert daher die Bundesregierung auf, die Wissenslücken zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall und tieffrequentem Schall von Windenergieanlagen (WEA) durch wissenschaftliche Forschung zu schließen sowie offene Fragen im Bereich der Messmethoden zu klären und gegebenenfalls Regelwerke anzupassen, damit der Ausbau und der Betrieb von WEA mit Bedacht, Sorgfalt, ganzheitlicher Expertise, Nachhaltigkeit und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung erfolgen kann.

Begründung:

Insbesondere bei den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall (< 20 Hz) und tieffrequentem Schall (< 100 Hz) durch Immissionen und Emissionen von Windenergieanlagen bestehen noch offene Fragen, z. B. zur Wirkung von Schall unterhalb der Hörschwelle oder von tiefen Frequenzen bei steigender Expositionsdauer. Des Weiteren sollte ein Anpassungsbedarf bei Messmethoden und Regelwerken geprüft werden, z. B. bei der Übertragbarkeit von Abstrahlungs- und Ausbreitungsmodellen für kleinere WEA auf große Anlagen sowie bei verbindlichen Regelungen von Messung und Beurteilung tiefer Frequenzen (0,1 bis 20 Hz).

Kernziele:

–Systematische, transparente, ergebnisoffene, empirische Erforschung des in den menschlichen Organismus eindringfähigen niedrigen Frequenzbereiches

–Vernetzung mit den im Ausland schon seit Langem auf diesem Gebiet forschenden Gruppen

–Kontinuierliche Veröffentlichung der Ergebnisse, der Untersuchungsmethodik

–Stopp eines zu nahen Ausbaus an Siedlungen, bis hinreichend belastbare Daten vorliegen, die eine Gefährdung sicher ausschließen.

–Bei den Abstandsproblemen, der Geräuschentwicklung und dem Schattenwurf sind neben der Anlagenhöhe ebenso die Windradpositionen zur Siedlung in Abhängigkeit von der topografischen Gegebenheit, der Hauptwind- und Sonnenstrahlenrichtung zu berücksichtigen. Steht beispielsweise ein Windradpark auf der wind- und sonnenzugewandten Seite vor einer Siedlung, so werden Schallausbreitung und Schattenwurf für die Siedlung störender sein, als wenn sich der Windpark hinter dieser Siedlung befindet.

–Eine reformbedürftige technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm), die nur unzureichend schützt, kann nicht noch weiterhin als Schutzvorschrift gebraucht werden.

–Die dadurch initiierte Schallforschung spielt auf allen Ebenen der Schallbelastung eine gesundheitsschützende Rolle, also nicht nur bei Windenergieanlagen.

–Wichtig ist auch die Untersuchung von Körperschall (= tieffrequente Festkörpervibrationen von 100 Hz bis 0,1 Hz), welcher ebenso in gefährlicher Form von den modernen Windenergieanlagen ausgeht.

–Körperschall entsteht auch schon, wenn die Rotoren der WEA noch gar nicht laufen, allein bedingt durch die Biegeschwingungen der extrem hohen Türme der Anlagen. Er wird über die Fundamente in den Umgebungsboden übertragen. Jenach topologischer und geomorpher Situation (Bodenschichtungen) am Standort solcher Anlagen, kann der Körperschall ohne weiteres bis 10 km und weiter als Immission in die Wohnbebauung eingetragen werden. Den Infraschall (luftseitig) hier nur alleinig zu betrachten und zu untersuchen, ist somit nicht ausreichend, um erklärbare und brauchbare Erkenntnisse zu bringen.
Daher müssten im Rahmen von Messungen zur Beurteilung der Gesundheitsgefahr zukünftig immer zusätzlich zu den Außenmessungen auch Innenmessungen in den Häusern durchgeführt werden (an Stelle der bisher hier üblichen Praxis von akustischen Berechnungen).

–Die Wechselwirkungen von Körperschall und Luftinfraschall können die Wahrnehmungsschwelle betroffener Personen deutlich nach unten versetzen. Gesundheitliche Probleme dieser Personen können daher schon bei sehr niedrigen Pegeln auftreten.

 

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