Um Antwort wird gebeten: Inhaltlicher Fehler in Harald Leschs Klima-Video

Von: Dr. habil. Sebastian Lüning
An: ZDF-Fernsehrat

Gesendet: 19.7.2016
Antwort: 8.8.2016

Sehr geehrter Fernsehrat,

Im Youtube-Kanal “Terra X Lesch & Co” veröffentlichten Prof. Harald Lesch und die Terra X-Redaktion am 29. Juni 2016 den Video-Beitrag „Das AfD-Programm wissenschaftlich geprüft“.
https://www.youtube.com/watch?v=legMiI6RUuQ

Ich bin kein Anhänger der AfD, erwarte jedoch eine wissenschaftlich korrekte Darstellung der Klimaproblematik. Im Video behauptet Prof. Lesch ab Minute 4:10, dass die gängigen Klimamodelle die historisch-geologisch ermittelte Klimaentwicklung gut reproduzieren können. Hier irrt Lesch. Der Weltklimarat IPCC hat in seinem letzten Klimabericht AR5 in Kapitel 5.3.5 der Arbeitsgruppe 1 ausdrücklich eingeräumt, dass die Modellierung der Mittelalterlichen Wärmeperiode (MWP) vor (1000 n.Chr.) misslungen ist.
https://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar5/wg1/WG1AR5_Chapter05_FINAL.pdf

Die MWP stellt eine wichtige Vergleichsperiode für die moderne Erwärmungsphase dar. Jüngere Arbeiten haben die unerwartete Schere zwischen Modellen und realer Temperaturentwicklung noch einmal bestätigt:

–Wilson et al. 2016: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277379115301888?np=y
–Luterbacher et al. 2016: http://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/11/2/024001

Es geht um den folgenden Punkt im AfD-Programm:

Der IPCC versucht nachzuweisen, dass die von Menschen verursachten CO2-Emissionen zu einer globalen Erwärmung mit schwerwiegenden Folgen für die Menschheit führen. Hierzu beruft man sich auf Computermodelle, deren Aussagen durch Messungen oder Beobachtungen nicht bestätigt werden.

Die [folgende] Aussage von Prof. Lesch im Video hierzu ist daher nachweislich falsch:

“Diese Aussage ist nicht korrekt.”

Die AfD-Aussage ist vielmehr richtig. Aus wissenschaftlicher Sicht ist einzuräumen, dass es bedeutende Probleme mit den Modellen bei der sogenannten Rückwärtmodellierung (“Hindcast”) gibt, die Prof. Lesch hier irreführenderweise unerwähnt lässt. Angesichts der großen Bedeutung des Themas ‘Klimawandel’ für die Gesellschaft und der großen Multiplikatorwirkung des ZDF (bislang eine Viertel Millionen Zuseher des Videos), möchte ich Sie bitten, das Video so lange aus dem Netz zu nehmen bzw. mit einem gut sichtbaren Korrekturhinweis zu versehen, bis der bedauerliche inhaltliche Fehler behoben ist. Vielen Dank im voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. habil. Sebastian Lüning

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Von: Dr. Norbert Himmler, Programmdirektor des ZDF
An: Dr. habil. Sebastian Lüning

Gesendet: 8.8.2016

Am 8.8.2016 antwortete der Programmdirektor des ZDF, Dr. Norbert Himmler. Er hatte die verantwortliche ZDF-Fachredaktion Naturwissenschaft und Technik gebeten, den Fall zu prüfen. Wenig überraschend stritt die Redaktion jeglichen Fehler ab. Himmler teilte dementsprechend mit, das Video werde folglich weder entfernt, noch geändert.

Das Originalschreiben können Sie als pdf hier abrufen.

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Von: Dr. habil. Sebastian Lüning
An: Dr. Norbert Himmler

Gesendet: 10.8.2016
Sehr geehrter Herr Dr. Himmler,

Vielen Dank für Ihre Antwort und die Veranlassung der inhaltlichen Prüfung. Wir stimmen beide darin überein, dass der Forschungsgegenstand Klimawandel hochkomplex ist. Umso wichtiger ist die fachlich korrekte Berichterstattung, wobei Vereinfachungen natürlich stets notwendig sind, um dem breiten Publikum die wichtigsten Erkenntnisse vorzustellen.

Im krassen Gegensatz zu den klaren Aussagen aus der Wissenschaft, sieht Ihre Fachredaktion Naturwissenschaft und Technik überraschenderweise keine Probleme bei der Rückwärts-Modellierung der Mittelalterlichen Wärmeperiode. Ich hatte konkrete Literaturzitate angegeben, offenbar haben Ihre Kollegen jedoch die entsprechenden Stellen nicht gefunden bzw. nicht erkannt. Das ist bedauerlich, kann aber passieren, wenn Journalisten eine breite Palette an Disziplinen abdecken müssen. Ich möchte Ihnen daher die Textstellen konkret nennen, um die es geht. Zur Erläuterung: “Rekonstruktion” = Messdaten (Proxies), “Simulation” und “CMIP5” = Klimamodelldaten

5. Klimabericht des IPCC, Arbeitsgruppe 1, Kapitel 5.3.5:
The reconstructed temperature differences between MCA and LIA […] indicate higher medieval temperatures over the NH continents […]. . The reconstructed MCA warming is higher than in the simulations, even for stronger TSI changes and individual simulations […] The enhanced gradients are not reproduced by model simulations … and are not robust when considering the reconstruction uncertainties and the limited proxy records in these tropical ocean regions […]. This precludes an assessment of the role of external forcing and/or internal variability in these reconstructed patterns.
https://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar5/wg1/WG1AR5_Chapter05_FINAL.pdf

 

Wilson et al. 2016
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277379115301888?np=y
“N-TREND2015 indicates a longer and warmer medieval period (∼900–1170) than portrayed by previous TR NH reconstructions and by the CMIP5 model ensemble…”

 

Luterbacher et al. 2016
http://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/11/2/024001
Temperature differences between the medieval period, the recent period and the Little Ice Age are larger in the reconstructions than the simulations.”

Dazugehörige Pressemitteilung: https://www.uni-giessen.de/ueber-uns/pressestelle/pm/pm19-16
“Die Belege deuten drauf hin, dass die natürliche Veränderung der Sommertemperaturen größer ist als bislang angenommen, so dass Klimamodelle das volle Ausmaß von zukünftig eintretenden Extremen, einschließlich Hitzewellen, unterschätzen könnten….”

Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass die aufgeführten Textstellen wenig Raum für die abweichende Interpretation Ihrer Fachredaktion lassen. Ich möchte Sie daher erneut bitten, das bemängelte Video mit einem deutlich sichtbaren Hinweis darauf zu versehen, dass es in der Tat Probleme bei der Rückwärtsmodellierung der Klimamodelle gibt. Es wäre unvernünftig, dies abzustreiten und hilft der wichtigen Klimadebatte nicht weiter, selbst wenn es scheinbar im Sinn der guten Sache ist. Der Klimawandel ist real und erfordert unsere höchste Aufmerksamkeit. Umso wichtiger ist es, dass die vorgebrachten Argumente und die mediale Darstellung fachlich belastbar sind.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Lüning

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Von: Christiane Götz-Sobel, Leiterin der Redaktion Naturwissenschaft und Technik im ZDF
An: Sebastian Lüning

Gesendet: 19.8.2016

 

Sehr geehrter Herr Dr. Lüning,

Ihre Mail vom 10. August 2016 an den Programmdirektor Herrn Dr. Norbert Himmler bezüglich unseres Beitrags auf YouTube mit dem Titel „Das AfD-Programm wissenschaftlich geprüft“ wurde mir zur direkten Beantwortung zugeleitet.

Wie Sie richtig anführen, müssen komplexe wissenschaftliche Sachverhalte gelegentlich vereinfacht dargestellt werden, um sie für interessierte Laien verständlich zu machen. Dabei ist selbstverständlich auch bei einer verkürzten Darstellung auf die wissenschaftliche Korrektheit zu achten. In dem von Ihnen angesprochenen YouTube-Clip sind wir diesem Prinzip gefolgt und tun dies auch bei allen anderen Publikationen. Die von Ihnen zitierten Veröffentlichungen sind uns bekannt. Im genannten IPCC-Bericht sind Rückwärts-Modellierungen durchaus ein Instrument, um wissenschaftliche Aussagen zu treffen. Für weit zurückliegende Zeiträume ist es nicht verwunderlich, wenn Lücken in Proxydaten zu entsprechend vorsichtigeren Aussagen führen. Dennoch ist das Instrument der Rückwärts-Modellierung ein übliches und ein anerkanntes, um zu wissenschaftlichen Aussagen zu gelangen. Unsere Position bezüglich des von Ihnen angesprochenen YouTube-Clips ist daher unverändert.

Mit freundlichen Grüßen

Christiane Götz-Sobel

 

PS ein Zitat aus dem IPCC-Bericht

aus Kapitel 5.3.5 Temperature Variations During the Last 2000 Years

“The last two millennia allow comparison of instrumental records with multi-decadal-to-centennial variability arising from external forcings and internal climate variability. The assessment benefits from high-resolution proxy records and reconstructions of natural and anthropogenic forcings back to at least 850 (Section 5.2), used as boundary conditions for transient GCM simulations.”

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Von: Dr. habil. Sebastian Lüning
An: Christiane Götz-Sobel, Leiterin der Redaktion Naturwissenschaft und Technik im ZDF

Gesendet: 19.8.2016

Sehr geehrte Frau Götz-Sobel,

Danke für Ihre Mail vom 19. August 2016. Ich bin natürlich sehr verwundert darüber, dass Sie die Behauptung im Lesch-Video aufrecht erhalten wollen. Wie dargelegt, steht sie im krassen Gegensatz zum IPCC AR5-Bericht und neuesten Publikationen von Fachwissenschaftlern, die eine signifikante Diskrepanz zwischen Proxydaten und Klimamodellierung der Mittelalterlichen Wärmeperiode identifiziert haben. Entgegen Ihrer Darstellung werden hier nicht etwa die Proxydatenlagen als Problem gesehen, sondern die fehlerhaften Ergebnisse der Modellierungen. Der von Ihnen zitierte Satz aus dem AR5 bestätigt dies sogar noch einmal (“high-resolution proxy records …back to at least 850 [AD]”).

Mir bleibt nichts anderes übrig, als Ihre Position zur Kenntnis zu nehmen. Angesichts der großen gesellschaftspolitischen Bedeutung der Klimafrage und im Zuge der Transparenz würde ich Ihre Antwort und jene von Dr. Himmler gerne auf www.kaltesonne.de bekanntgeben. Ich hoffe, dies geht in Ordnung. Für den Fall, dass ich bis zum 26. August 2016 nicht von Ihnen oder Dr. Himmler höre, gehe ich davon aus, dass ich Ihre Antworten veröffentlichen darf.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. habil. Sebastian Lüning

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Von: Christiane Götz-Sobel, Leiterin der Redaktion Naturwissenschaft und Technik im ZDF
An: Sebastian Lüning

Gesendet: 22.8.2016

Sehr geehrter Herr Dr. Lüning,

gegen eine ungekürzte Veröffentlichung gibt es keine Einwände.

Mit freundlichen Grüßen

Christiane Götz-Sobel

 

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