Ruß wärmt stärker als gedacht und ließ Alpengletscher im 19. Jahrhundert tauen

Im heutigen Beitrag unserer kleinen Aerosol-Reihe geht es um den Ruß. Ruß ist ein schwarzer, pulverförmiger Feststoff, der je nach Qualität und Verwendung zu 80 bis 99,5 Prozent aus Kohlenstoff besteht. Er entsteht sowohl durch industrielle Aktivität als auch natürliche Prozesse wie etwa Waldbrände. Lange hatte man den Ruß klimatisch unterschätzt. Das änderte sich vor wenigen Jahren, als man die stark erwärmende Wirkung schließlich erkannte. Plötzlich hatte man in den Klimamodellen neben dem CO2 eine weitere bedeutende Heizquelle. Um in den ausbalancierten Modellen nicht über das Wärmeziel nicht hinauszuschießen, hätte man nun eigentlich die Klimakraft des CO2 zurückschrauben müssen. Das wollte man jedoch auf keinen Fall, würde es doch politisch ein „falsches“ Zeichen aussenden. Wie konnte man nun also den Ruß einbauen, ohne das Klimagas CO2 zu „beschädigen“? Die kühlende Wirkung der Schwefeldioxid-Partikel wurde quasi über Nacht heraufgesetzt, genau um den Betrag, den der Ruß nun zusätzlich erwärmt. Eine schräge Geschichte. Gemerkt hat diese windige Aktion kaum einer. In unserem Buch „Die kalte Sonne“ hatten wir 2012 das fragwürdige Manöver beschrieben.

Am 9. Februar 2013 berichtete Sven Titz in der Stuttgarter Zeitung über die neuen Erkenntnisse zum Ruß:

Klimawandel: Ruß wärmt stärker als gedacht
Ruß beeinflusst das Klima wesentlich stärker als angenommen – das ist das Fazit eines 232 Seiten langen Berichts im Fachmagazin „Journal of Geophysical Research“ [Bond et al. 2013]. 31 Wissenschafter aus aller Welt werteten vier Jahre lang die wichtigsten Studien über die Wirkung des „schwarzen Kohlenstoffs“ auf die Atmosphäre aus und ermittelten daraus quantitative Abschätzungen. Demnach wärmt Ruß die Luft ungefähr doppelt so stark wie noch im letzten Bericht des UN-Klimarats aus dem Jahr 2007 angenommen. Was die vom Menschen verursachte Erwärmung der Atmosphäre angeht, ist Ruß wahrscheinlich sogar wirksamer als das Treibhausgas Methan – und wird allein von Kohlendioxid übertroffen. […] Da er so schwarz ist, schluckt Ruß den größten Teil des Sonnenlichts – diese Absorption war bisher in vielen Klimamodellen zu schwach. Der Ruß erwärmt dann auch seine Umgebung. Im Winter färbt er außerdem Schnee und Eis dunkel und trägt so dazu bei, dass sie schneller schmelzen.

Weiterlesen in der Stuttgarter Zeitung.

Bereits im Jahr 2012 hatte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA den Ruß als zweitgefährlichsten Klimaschadstoff eingestuft. Plötzlich fanden auch weitere Studien Hinweise auf die klimaverändernde Wirkung des Ruß. So berichteten Woo-Seop Lee und Maeng-Ki Kim im März 2013 im Asia-Pacific Journal of Atmospheric Sciences, über starke Albedoeffekte, die Ruß in eis- und schneebdeckten Gebieten der nördlichen Hemisphäre verursacht:

Radiative effect of black carbon aerosol on seasonal variation in snow depth in the Northern-Hemisphere
In this research, we studied the effects of black carbon (BC) aerosol radiative forcing on seasonal variation in the Northern Hemisphere (NH) using numerical simulations with the NASA finite-volume General Circulation Model (fvGCM) forced with monthly varying three-dimensional aerosol distributions from the Goddard Ozone Chemistry Aerosol Radiation and Transport Model (GOCART). […] Therefore, BC aerosol forcing may be an important factor affecting the snow/ice albedo in the NH.

Insbesondere ist hiervon die Arktis betroffen, wie eine Meldung auf phys.org im August 2013 zu einem Paper von Sand et al. im Journal of Geophysical Research ausführt:

The Arctic is especially sensitive to black carbon emissions from within the region
To investigate how sensitive the Arctic is to black carbon emissions from within the Arctic compared to those transported from mid-latitudes, Sand et al. conducted experiments using a climate model that includes simulation of the effects of black carbon deposited on snow. They find that most of the Arctic warming effect from black carbon is due to black carbon deposited on snow and ice, rather than in the atmosphere. Black carbon emitted within the Arctic is more likely to stay at low altitudes and thus to be deposited on the snow and ice there, whereas black carbon transported into the Arctic from mid-latitudes is more likely to remain at higher altitudes. Because of this, the Arctic surface temperature is almost 5 times more sensitive to black carbon emitted from within the Arctic than to emissions from mid-latitudes, the authors find.

Obwohl die Klimakraft des Ruß nun schon seit mehreren Jahren bekannt ist, scheinen die Klimamodelle noch immer nicht richtig angepasst zu sein und unterschätzen die Wärmewirkung der Substanz. Noch im März 2015 beklagten sich Myhre und Samset in einer Arbeit im Fachblatt Atmospheric Chemistry and Physics, dass der Strahlungsantrieb des Ruß von den Modellen noch immer 10% zu niedrig angenommen wird:

Standard climate models radiation codes underestimate black carbon radiative forcing
Radiative forcing (RF) of black carbon (BC) in the atmosphere is estimated using radiative transfer codes of various complexities. Here we show that the two-stream radiative transfer codes used most in climate models give too strong forward scattering, leading to enhanced absorption at the surface and too weak absorption by BC in the atmosphere. Such calculations are found to underestimate the positive RF of BC by 10% for global mean, all sky conditions, relative to the more sophisticated multi-stream models. The underestimation occurs primarily for low surface albedo, even though BC is more efficient for absorption of solar radiation over high surface albedo.

Der über Nacht ins Rampenlicht geblasene Ruß bot sich nun auch als Erklärung für andere ungelöste Rätsel an. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Alpengletscher stark geschrumpft – deutlich bevor die Temperaturen anstiegen. Wie war dies zu erklären? Offenbar hatte sich Ruß aus dem sich damals schnell industriell entwickelnden Europa auf dem Eis abgesetzt und die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Oberfläche der Gletscher eingefangen, was zum verstärkten Schmelzen führte. Hier die Pressemitteilung der University of Colorado Boulder vom 3. September 2013 zur Studie:

Soot suspect in mid-1800s Alps glacier retreat
Scientists have uncovered strong evidence that soot, or black carbon, sent into the air by a rapidly industrializing Europe, likely caused the abrupt retreat of mountain glaciers in the European Alps. The research, published Sept. 2 in the Proceedings of the National Academy of Sciences, may help resolve a longstanding scientific debate about why the Alps glaciers retreated beginning in the 1860s, decades before global temperatures started rising again. Thomas Painter, a snow and ice scientist at NASA’s Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Calif., is lead author of the study, and co-authors include Waleed Abdalati, Director of the Cooperative Institute for Research in Environmental Sciences (CIRES) at the University of Colorado Boulder. Glacier records in the central European Alps dating back to the 1500s show that between 1860 and 1930, loosely defined as the end of the Little Ice Age in Europe, large valley glaciers in the Alps abruptly retreated by an average of nearly 0.6 mile (1 kilometer). Yet weather in Europe cooled by nearly 1.8 degrees Fahrenheit (1 degree Celsius) during that time. Glaciologists and climatologists have struggled to understand the mismatch between the climate and glacier records. “Something was missing from the equation,” Painter said. To investigate, he and his colleagues turned to history. In the decades following the 1850s, Europe was undergoing a powerful economic and atmospheric transformation spurred by industrialization. Residents, transportation, and perhaps most importantly, industry in Western Europe began burning coal in earnest, spewing huge quantities of black carbon and other dark particles into the atmosphere. When black carbon particles settle on snow, they darken the surface. This melts the snow and exposes the underlying glacier ice to sunlight and relatively warm air earlier in the year, allowing more and faster melt.

Die gute Nachricht: Gegen Ruß kann man kurzfristig effektiv mit Filtern und anderen Maßnahmen vorgehen – viel einfacher als im Gegensatz zum CO2. Daher fordern Wissenschaftler eine stärkere Fokussierung auf die Minderung des Ruß. Hu et al. 2013 schlagen zum Beispiel als wirkungsvollsten Klimaschutz eine Konzentration auf die Reduktion kurzlebiger Treibhausgase wie Ruß, Methan, Ozon und Fluorkohlenwasserstoffe vor. Ähnlich argumentieren mittlerweile Umweltverbände, die die Kampagne „Rußfrei fürs Klima“ ins Leben gerufen haben. Auf der Webseite des lobenswerten Projektes heißt es:

„Rußfrei fürs Klima“ ist eine gemeinsame Kampagne der vier Umweltverbände Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutsche Umwelthilfe (DUH), Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Verkehrsclub Deutschland (VCD).  Zusammen mit Partnerorganisationen in acht weiteren europäischen Ländern setzen sich die beteiligten Verbände seit 2009 für eine deutliche Reduzierung von Dieselruß- emissionen ein.

Worum geht es?

Rußpartikel sind ein Teil des Feinstaubs und entstehen bei der unvollständigen Verbrennung von fossilen Brennstoffen und Biomasse. Sie tragen zur globalen Erwärmung bei und wirken dabei besonders verheerend in der Arktis, wo sie für fast ein Grad Celsius Erwärmung verantwortlich gemacht werden. Rußpartikel verkürzen die Lebenserwartung – sie verursachen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und können zu Krebs führen. Durch den Einbau von Rußpartikelfiltern, die Verwendung von saubererem Treibstoff, Verkehrsvermeidung und -verlagerung und die Einrichtung von Umweltzonen können sie erheblich reduziert werden. Davon würde die Gesundheit tausender Menschen und die Umwelt immens profitieren. 

Warum ist der Verkehr relevant?

Weltweit gibt es mehrere, regional unterschiedlich bedeutende Quellen für die klimawirksamen Rußpartikel. Ein Großteil stammt aus dem Hausbrand und dem Abbrennen landwirtschaftlicher Flächen. Der Verkehr ist für rund 25 Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich. Das Erwärmungspotential von Ruß hängt jedoch entscheidend vom Ort der Emission ab. Zwischen dem 40. und 50. nördlichen Breitengrad – also der Lage Mitteleuropas – der Verkehr Hauptemittent von Ruß, in diesem Fall Dieselruß. 

Ein Grund ist der hohe Anteil von Dieselfahrzeugen am europäischen Flottenbestand von 40 Prozent. Problematisch ist dabei dir noch immer geringe Verbreitung von Dieselpartikelfiltern im Fahrzeugbestand. Weiterhin sind auch Lokomotiven, Schiffe und Baumaschinen mit Dieselmotoren fast ausnahmslos ungefiltert. Durch wirksame Partikelfilter werden die Rußteilchen nahezu vollständig aus den Abgasen gefiltert. In der Reduktion von Rußpartikeln aus dem Verkehrsbereich liegt das größte Potenzial, um die negativen Folgen für die Arktis schnell zu verringern. Deshalb konzentrieren sich die Verbände in der Kampagne „Rußfrei fürs Klima“ auf die Reduktion von Dieselemissionen aus dem Verkehr. 

Rußpartikel sind im Gegensatz zu den Klimagasen CO2, Methan oder Ozon vergleichsweise kurzlebige Stoffe, d.h. sie haben nur eine geringe Verweilzeit in der Atmosphäre. Eine Reduktion von Dieselruß führt daher sehr schnell zum Erfolg und ist deshalb ein unverzichtbarer Baustein für die langfristige Bekämpfung der Erderwärmung. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat 2011 die Klimawirksamkeit von Black Carbon wissenschaftlich untersuchen lassen und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Minderung von Black Carbon positive Effekte auf das Weltklima hat und Zeit für den weiteren Kampf gegen den Klimawandel verschaffen kann. Die Reduzierung der im Kyoto-Protokoll festgelegten Klimagase, allem voran CO2, hat selbstverständlich nach wie vor oberste Priorität und darf nicht vernachlässigt werden.

Allerdings darf man auch nicht den historischen Kontext aus den Augen verlieren. Es mag für einige seltsam klingen, aber der vorindustrielle Rußausstoß war in der Tat höher als heute, was vor allem durch vermehrte Waldbrände zu erklären ist (Lehndorff et al. 2015).

 

Siehe auch unsere Blogartikel "Ruß ist ein viel größerer Klimakiller als gedacht: Muss CO2 jetzt kleinere Brötchen backen?" und "NABU: „Bis zu 50 Prozent der Erwärmung in der Arktis sind auf den Einfluss von Rußpartikeln zurückzuführen“".
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