K wie Korallenalge: Ungeliebtes pulsierendes Meereis

Heute ein Fernsehtip zum Wochenende. Die ARD-Sendung ‚W wie Wissen‘ brachte am 29. April 2017 im Rahmen ihrer Sendung „Geheimnisse des Meeres“ einen Bericht zur Meereisrekonstruktion anhand von Korallenalgen. Die Sendung ist in der ARD-Mediathek im Internet verfügbar (Beginn des Berichts bei Minute 16:38). Der deutsche Forscher Jochen Halfar von der University of Toronto hat eine Korallenalgenart im Arktischen Meer Kanadas ausfindig gemacht, die Jahresringe bildet. In der winterlichen Polarnacht ruht die Photosynthese. Im Frühling „erwacht“ die Alge und beginnt zu wachsen, und zwar umso besser je weniger Eis das Licht über ihr blockiert. Auf diese Weise kann die Meereisbedeckung für die vergangenen Jahrhunderte rekonstruiert werden. Insgesamt eine wirklich sehenswerte Doku.

Einen Kritikpunkt gibt es allerdings. Ab Minute 27:10 zeigt Halfar eine Meereisrekonstruktion für das nördliche Kanada mit einer starken Eisreduktion ab 1850 (Abb. 1). Das Wachstum der Algen hat sich seitdem stark verbessert, weil wegen des schrumpfenden Meereises nun immer mehr Licht zur Alge durchdringen konnte.

Abb. 1: Entwicklung der Meereisbedeckung in Nordkanada während der letzten 200 Jahre, rekonstruiert über das Wachstum von Korallenalgen. Ausschlag nach oben markiert stärkeres Wachstum, was einer geringeren Meereisbedeckung entspricht. Screenshot aus der Sendung bei Minute 27:20.

 

Das ist alles in Ordnung. Allerdings erläutert Halfar den Effekt allein mit dem Beginn der Industrialisierung um 1850, also dem CO2-Anstieg. Es wäre reeller gewesen, wenn er hier die Kleine Eiszeit erwähnt hätte, die kälteste Phase der letzten 10.000 Jahre, eine natürliche Klimavariation. Muss er irgendwie vergessen haben. Aber es kommt noch besser. Kurz darauf behauptet Halfar, eine solche Schwankung mit Meereisrückgang hätte es in der untersuchten vorindustriellen Zeit noch nicht gegeben. Dabei schwenkt dann die Kamera auf die Kurve der vergangenen 600 Jahre (Abb. 2). Und siehe da, die Daten widerlegen den Kommentar umgehend. Zwischen 1430 und 1470 gab es gleich mehrere Wachstumsspitzen der Alge, die einen starken Rückgang des Meereises anzeigen.

Abb. 2: Entwicklung der Meereisbedeckung in Nordkanada während der letzten 600 Jahre, rekonstruiert über das Wachstum von Korallenalgen. Ausschlag nach oben markiert stärkeres Wachstum, was einer geringeren Meereisbedeckung entspricht. Screenshot aus der Sendung bei Minute 27:37.

 

Was hat es mit dieser eisfreien, wärmeren Phase auf sich? Was könnte sie verursacht haben? Hier könnte die solar aktive Phase zwischen Wolf und Spörer Minima eine Rolle spielen. Vielleicht ist dies aber auch ein Effekt der AMO bzw. PDO. Auf jeden Fall hat Halfar signifikante vorindustrielle Schwankungen dokumentiert, die er in der TV- Doku schlichtweg verschweigt, was befremdlich wirkt. Der Elefant im Raum ist klar: Geht man noch einige Jahrhunderte zurück, so landet man in der Mittelalterlichen Wärmeperiode (MWP), die das Meereis in der Arktis stark abschmelzen ließ, vermutlich auf ein ähnliches Niveau wie heute. Im Rahmen unseres aktuellen MWP-Kartierprojekts haben wir diese mitelalterliche Schmelze gut dokumentiert. Es ist davon auszugehen, dass Halfar die entsprechende Literatur kennt. Es ist unklar, weshalb er den wichtigen klimahistorischen Kontext im TV-Bericht nicht erwähnt.

 

 

Teilen: