Es war einmal: Direktor der britischen Climate Research Unit (CRU) sagte klimatische Abkühlung voraus

Zum Abschluss unserer kleinen Modellierungsreihe werfen wir heute einen Blick zurück in die Frühphase der Klimawandelprognostik. Wir schreiben das Jahr 1974. Die globale Durchschnittstemperatur war seit einem Wärmemaximum um 1940 leicht abgefallen. Der Sommer in Deutschland fiel buchstäblich ins Wasser. Die mit Gletschern und Packeis bedeckte Fläche auf der nördlichen Halbkugel wuchs stetig an. Der Spiegel berichtete in einem Artikel „Katastrophe auf Raten“ damals (12.8.1974): 

Kommt eine neue Eiszeit? Nicht gleich, aber der verregnete Sommer in Nordeuropa, so befürchten die Klimaforscher, war nur ein Teil eines weltweiten Wetterumschwungs — ein Vorgeschmack auf kühlere und nassere Zeiten.

Deutschlands Urlauber packten die Koffer — und der Himmel öffnete seine Schleusen: Unter Blitz und Donner, Hagelschlag und Wolkenbrüchen setzte sich der große Ferien-Treck in Bewegung. […] Als, wieder eine Woche später, in West-Berlin, Bremen und Niedersachsen der Urlauber-Exodus begann, herrschte zwischen München und Hamburg Herbstkälte. Am 11. Juli schließlich, dem Ferienbeginn in Baden-Württemberg, geriet das Wetter vollends aus den Fugen. Die rasch aufeinanderfolgenden Schauer-Staffeln, Gewitterfronten und Sturmtiefs entglitten kurzfristig sogar der Kontrolle der Meteorologen. „Wir konnten“, so bekannte Dr. Elisabeth Kleissen vom Hamburger Seewetteramt, „nicht einmal für einen Zeitraum von 24 Stunden genaue Prognosen liefern“ — „seit Jahren“, so erläuterte die Expertin, habe es über Deutschland keinen „so unangenehmen, unbeständigen Wettertyp“ gegeben. Kürzer umschrieb, im Namen der Urlauber, die Münchner „Abendzeitung“ die Lage — „Sauwetter, mistig’s“. Und „Bild“ sorgte sich: „Geht etwa der ganze Sommer kaputt?“ Er ist, kein Zweifel, kaum mehr zu retten. In Hamburg etwa gab es auch im Juli nur drei Tage ohne Regen, und nur an einem einzigen Tag stieg die Temperatur auf 25 Grad — „der Sommer“, witzelte die „Welt“, „fand an einem Montag statt“. […]

„Ganz hervorragend“, so Horst Laudien vom Reisebüro „Scharnow““ entwickelte sich unterdessen das Fluggeschäft: „Die Leute haben vom Regen die Nase voll“ — sie flüchten nach Süden. „Die extremen Wettersituationen“, erläuterte „Touropa“ -Sprecher Heinz Göckeritz, hätten in den letzten Jahren zugenommen. Alles in allem sei „halt das Wetter auch nicht mehr das, was es einmal war Eisberge wandern weiter südwärts. 

Zu diesem Allerweltsurteil sind die professionellen Wetterbeobachter schon längst gekommen. Spätestens seit 1960 wächst bei den Meteorologen und Klimaforschern die Überzeugung, daß etwas faul ist im umfassenden System des Weltwetters: Das irdische Klima, glauben sie, sei im Begriff umzuschlagen — Symptome dafür entdeckten die Experten nicht nur in Europa, sondern inzwischen in fast allen Weltregionen. Am Anfang standen Messdaten über eine fortschreitende Abkühlung des Nordatlantiks. Dort sank während der letzten 20 Jahre die Meerestemperatur von zwölf Grad Celsius im Jahresdurchschnitt auf 11,5 Grad. Seither wanderten die Eisberge weiter südwärts und wurden, etwa im Winter 1972/73, schon auf der Höhe von Lissabon gesichtet, mehr als 400 Kilometer weiter südlich als in den Wintern zuvor. 

Was war damals passiert? Der Erwärmungsstop ab 1940 (Abbildung 1) fällt ziemlich genau mit dem Abknicken der Pazifisch Dekadischen Oszillation (PDO), einem wichtigen Ozeanzyklus zusammen (Abbildung 2). Die kühlende Phase dieses Zyklus führte zum Absinken der Temperatur. Erst Ende der 1970er Jahre stieg die Temperatur dann wieder, als auch der PDO-Zyklus wieder kräftig nach oben ging (Abbildung 2). 

 

Abbildung 1: Temperaturentwicklung der letzten 130 Jahre. 

 

Abbildung 2: Entwicklung der Pazifisch-Dekadischen Oszillation (PDO, oben) im Vergleich zur Temperaturentwicklung (unten) für die vergangenen 110 Jahre.

 

Aber die 1970er Jahre zeichnen sich noch durch ein weiteres Merkmal aus. Die Sonnenaktivität sackte damals auf ein recht tiefes Niveau (20. Zyklus in Abbildung 3). Dies Solarflaute trug vermutlich kräftig zu den kalten Temperaturen in dieser Zeit bei. 

 

Abbildung 3: Sonnenflecken-Entwicklung der vergangenen 50 Jahre.

 

Neben der Kälte gab es in den 1960er/1970er Jahren jedoch noch weitere bemerkenswerte Beobachtungen zu machen. Wir lesen weiter im Spiegel-Artikel von 1974: 

Und während im Osten Afrikas und im Norden der USA die Wasserspiegel der großen Binnenseen stetig steigen, herrscht in den Ländern südlich der Sahara seit nunmehr sieben Jahren Dürre. Dort, in der sogenannten Sahelzone, verdorrte die Vegetation, sind die Brunnen versiegt, die Viehherden zugrunde gegangen und Millionen Einwohner vom Hungertod bedroht. Mißernten, Hungersnot und Wassermangel gab es seit Ende der sechziger Jahre auch immer häufiger in anderen Regionen der Subtropen, in Mexiko, auf den Kapverdischen Inseln im Atlantik sowie im Norden Indiens und Pakistans, wo der Monsunregen neuerdings spärlicher fällt. 

Dürren als Folge einer globalen Abkühlung? Wie passt das mit den heutigen Dürrewarnungen wegen der globalen Erwärmung zusammen? 

Weiter im Spiegel-Text: 

Nach Studium des beunruhigenden Datenmosaiks halten es viele Klimaforscher für wahrscheinlich, daß der Erde eine neue Großwetter-Ära bevorsteht, daß der Trend, der den Erdbewohnern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die — klimatisch — besten Jahre seit langem bescherte, sich nun umkehrt. In der Zeit zwischen 1890 und 1945 hatten die Wissenschaftler eine allgemeine Erwärmung des Erdklimas registriert. Die globale jährliche Durchschnittstemperatur stieg in diesem Zeitraum um etwa 0,7 Grad — in Polnähe wurde es sogar um mehrere Celsiusgrade wärmer.  

Aufgrund der drohenden Klimaabkühlung warnten einige Klimawissenschaftler damals vor katastrophalen Folgen für die Menschheit: 

Nicht zuletzt weil der Klima-Umschwung vor allem in jenen Breiten durchschlägt, die am dichtesten besiedelt sind und in denen zugleich der Hauptteil der Nahrungsmittel für die Weltbevölkerung produziert wird, betrachten viele Experten die Weitwetter-Entwicklung mit Sorgen. Halte die gegenwärtige Klimaverschlechterung an, so warnt etwa der US-Wissenschaftler Reid Bryson, Direktor des Instituts für Umweltstudien an der Universität von Wisconsin, so werde sie demnächst womöglich „die ganze Menschheit in Mitleidenschaft ziehen“ — „eine Milliarde Menschen würde verhungern“. 

Für einige einflussreiche Klimawissenschaftler war der Fall klar: Vor der Abkühlung gab es laut ihren Prognosen kein Entrinnen: 

Denn mittelfristig, glauben sie, sei eine Verbesserung des Erdklimas kaum zu erhoffen. Die Chancen für eine rasche Rückkehr des günstigen Klimas etwa der dreißiger Jahre, so taxierte der US-Wetterforscher James McQuigg, stünden „bestenfalls eins zu 10 000“. Globale Kälteperioden, so errechnete auch der britische Klimatologe Hubert Lamb, dauerten normalerweise mindestens 40 Jahre; Jahrzehnte würden vergehen, bis der Atlantik, einmal abgekühlt, ·sich wieder erwärmt habe. […] Doch bevor es dazu käme, könnte die anhaltende globale Klimaverschlechterung zu einer „Katastrophe auf Raten“ („Deutsche Zeitung“) führen. So sehen Fachleute Vorboten kommenden Unheils gegenwärtig etwa im Mittleren Westen der USA, wo seit vielen Wochen andauernde Trockenheit die Sojabohnen- und Getreideernte gefährdet, oder im Fernen Osten: In Indien, Pakistan und Sri Lanka (Ceylon) vernichteten Ende Juli Unwetter einen großen Teil der Ernte — zugleich wurden rund 15 Millionen Menschen obdachlos. Wenn die Serie von Mißernten sich fortsetze, so warnte jüngst der US-Biologe Paul Ehrlich, gebe es für die Einwohner vor allem in den von einem Drittel der Menschheit bevölkerten Monsunländern „keine Rettung“. Während einst von Klimaschwankungen bedrohte Völker — etwa die Hethiter in Vorderasien oder die Bewohner des Mali-Reichs in Afrika — ihre Heimat verließen, um dem Untergang zu entrinnen, ist die Welt heute, so das US-Magazin „Fortune“, „zu dicht besiedelt und zu sehr politisch zerstückelt, um Massen-Wanderungen zu ertragen“. 

Ein Jahr vor dem Spiegel-Artikel hatte gerade die Ölkrise begonnen. Ausgelöst durch den Jom-Kippur-Krieg schoss im Herbst 1973 plötzlich der Ölpreis in die Höhe und setzte Wirtschaft und Gesellschaft kräftig unter Druck. 1974 musste die Bundesrepublik für ihre Ölimporte rund 17 Milliarden DM mehr bezahlen als im Jahr zuvor. Dies verstärkte die Wirtschaftskrise und führte zu einem deutlichen Anstieg von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Sozialausgaben und Insolvenzen von Unternehmen. Schon damals sah man interessanterweise die Klimakatastrophe als schwerwiegender an als die Energieversorgung. Wohlgemerkt ging es damals um die Abkühl-Katastrophe, nicht die Klimaerwärmung. Wir lesen im Spiegel: 

Verglichen aber mit den möglichen Folgen des weltweiten Klima-Problems, glaubt Ehrlich, mute die aktuelle Energiekrise fast harmlos an — Ehrich: „Eine Pussycat-Krise im Verhältnis zu den Tigern um die Ecke.“ 

 

Siehe auch Artikel von Tom Nelson zur Abkühl-Prognose des Gründers der Climate Research Unit (CRU) der University of East Anglia, Hubert Lamb.

 

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