Eine der größten Vulkankatastrophen der letzten Jahrtausende ohne Klimaeffekt in Mitteleuropa: Wird die Klimawirkung des Ausbruchs 1258 n. Chr. überschätzt?

Gastbeitrag von Dr. Rainer Köthe

Langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift „kosmos“, UmweltMedienpreisträger 1996 und Buchautor

Die inflationäre Verwendung des Wortes Katastrophe in den Medien im Zusammenhang mit der Klimadiskussion nimmt langsam besorgniserregende Züge an. Nicht nur werden für die Zukunft die schlimmsten Dinge an die Wand gemalt, selbst die Vergangenheit muss nun für erfundene Desaster herhalten. Zum Beispiel das Jahr 1258. Damals habe ein gewaltiger „Vulkanausbruch die Welt in eine Katastrophe“ gestürzt. „Schwefelnebel“ hätte über Europa gewabert. Außergewöhnlich frostige Winter und kühle, regnerische Sommer, Missernten und Hungersnöte seien die Folge gewesen, zudem seien dadurch gewalttätige Sekten aufgekommen.

Welcher Vulkan Ursache dieser Malaise gewesen ist, sei allerdings noch nicht klar. Man wisse nur, er habe irgendwo in den Tropen gelegen, vermutlich in Indonesien, und habe 1258, vielleicht auch schon Ende 1257, einen „gigantischen Ausbruch“ erlebt, gemessen am Schwefelausstoß achtmal größer als der Krakatau-Ausbruch von 1883. Und er sei nur der erste von mehreren Ausbrüchen gewesen, die schließlich sozusagen in mehreren aufeinanderfolgenden Schlägen die weltweiten Temperaturen gesenkt und damit die „Kleine Eiszeit“ eingeleitet hätten, eine jahrhundertelang anhaltende Abkühlungsphase, die sich mehr oder weniger stark in vielen Teilen der Welt zeigte und erst im 19. Jahrhundert zu Ende ging. Indizien dafür seien Schwefelablagerungen in arktischen und antarktischen Eisbohrkernen, die eine exakte Datierung ermöglichten, sowie Chroniken aus jener Zeit. Quelle vieler dieser Behauptungen ist der NASA-Forscher Richard Stothers, der im Jahr 2000 im Fachmagazin Climatic Change eine Reihe von Belegen für diese These veröffentlicht hat.

Eine Katastrophe im gut dokumentierten Spätmittelalter, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch achtmal größer als der des Krakatau 1883? Sogar größer als die Tambora-Eruption von 1815, die der Welt ein „Jahr ohne Sommer“ und Zehntausende Tote gebracht hat? Und niemand hat das bisher gewusst? Kann das stimmen? 

Eigentlich kennen wir die Folgen eines großen Vulkanausbruchs ganz gut, dank mehrerer Beispiele allein in den letzten Jahrhunderten. So brach um 1453 der Kuwae aus, ein unterseeischer Vulkan nahe der Insel Tongoa im Südsee-Inselstaat Vanuatu. Die Eruption sei, gemessen am Partikelausstoß, eine der größten der letzten 10 000 Jahre gewesen. Die Folgen zählte Dr. Kevin Pang vom Jet Propulsion Laboratory der NASA auf: Sowohl in Europa wie in China gab es deutliche Indizien in Baumringen; sie waren zeitweise besonders dünn, weil das Baumwachstum gehemmt war. In China gab es anhaltenden Schneefall, der die Ernten zerstörte, auch aus Schweden wird von totalem Ernteausfall berichtet. In Konstantinopel hätten die Gärten kaum Ertrag gebracht, zudem seien Erscheinungen beobachtet worden, wie sie für Wolken aus vulkanischer Asche typisch sind.

Auch als 1783 der Asama in Nordjapan ausbrach und vor allem 1783 und 1784 die Laki-Spalte auf Island acht Monate lang Lava, Giftgase, Asche und zudem gewaltige Mengen an Schwefeldioxid ausspie, waren die Folgen auf großen Teilen zumindest der Nordhemisphäre spürbar. In Nordamerika war der Winter 1783/1784 extrem kalt. Auch in Europa erlitten die Menschen einen besonders kalten und zudem schneereichen Winter. Viele Flüsse und sogar der Große Belt froren zu, teilweise türmten sich die Schneemassen mehr als einen Meter hoch. Ein Tauwettereinbruch im Februar 1784 führte dann zum raschen Abschmelzen des Schnees und dadurch zu Hochwassern, die ganze Täler verwüsten und zusammen mit den mitgerissenen Eisschollen zahlreiche Brücken wegrissen, darunter die Alte Brücke in Heidelberg. Der Sommer 1783 dagegen war besonders heiß und trocken.

Die Tambora-Explosion toppte aber diese Eruptionen noch deutlich. Der Ausbruch dieses Vulkans auf der indonesischen Insel Sumbawa gilt als größtes Vulkanereignis seit der Explosion des neuseeländischen Taupo vor rund 22 000 Jahren. Der Tambora schleuderte im April 1815 rund 160 Kubikkilometer Material in die Luft, darunter riesige Mengen Schwefeldioxid. Die Druckwellen der Explosion waren noch in 15 000 Kilometern Entfernung nachweisbar. Denn das darauffolgende Jahr 1816, das „Jahr ohne Sommer“, brachte vielerorts in Europa und teils auch in Nordamerika Unwetter, anhaltende Regenfälle, Überschwemmungen, Kälteperioden und in der Folge Missernten und Hungersnöte.

Noch weit bekannter ist der Krakatau, der zwischen Sumatra und Java liegt und 1883 explodierte. Die Explosion und die dadurch ausgelösten Flutwellen töteten rund 36 000 Menschen. Doch der Krakatau schleuderte nur rund 20 Kubikkilometer Material in die Luft, also etwa ein Achtel der Tambora-Menge. Dabei sanken angeblich selbst durch diese Explosion die weltweiten Durchschnittstemperaturen einige Jahre lang um 0,5 bis 0,8 Grad Celsius.

Und was sagen nun die Chroniken über 1258 und die folgenden Jahre? Angesichts von Aussagen wie „achtmal größer als der Krakatau-Ausstoß“ und „Katastrophe“ erwartet man nicht nur deutliche Hinweise, sondern beredte Klagen über ein geradezu endzeitliches Geschehen.

Einige Stichproben. 1976, lange vor der heutigen Klimadiskussion, erschien in Hannover ein interessantes Buch: „Naturkundliche Chronik Nordwestdeutschlands“ von Dr. F. Hamm. Mit großem Fleiß hatte sich dort jemand daran gemacht, alle möglichen Daten über seltsame Vorfälle und ungewöhnliches Wetter aus alten Chroniken zusammenzutragen und zeitlich zu ordnen. Und was sagt Hamm zum 1258 und den Folgejahren? Eine Katastrophe? Keineswegs! Für 1258/59 wird ein „sehr milder Winter“ verzeichnet. Erst einige Jahre später ist von einer „großen Sturmflut in Friesland“ (Dezember 1263), einer „sehr großen Sturmflut der Nordsee“ (16. Januar 1266) oder einem „sehr strengen Winter von November bis Februar (Skagerak und Kattegatt zugefroren)“ die Rede (1268/69). Sturmfluten sind freilich auch in den Jahrzehnten zuvor mehrfach verzeichnet. Sie waren schon damals an der Nordseeküste ein häufig wiederkehrendes Ereignis – mit den Höhepunkten Marcellusflut (1362) und Burchardiflut (1634).

Im Jahre 2001 erschien die „Klimageschichte Mitteleuropas“ von Rüdiger Glaser, ausgewiesen als bekannter Klimaforscher und Professor für Geographie. Auch hier gibt die Konsultation keine Anzeichen für eine Katastrophe. Danach war der Sommer 1259 „ausgesprochen heiß und trocken“ (S. 63). Auch in den weiteren Jahren „überwogen wieder die warmen Sommer“. Die Jahre 1261 und 1262 „zeichneten sich durch eine ausreichende Sommerwärme aus. Die Feldfrüchte und der Wein gerieten 1261 überwiegend gut.“ 1262 allerdings sei es teilweise wegen Trockenheit zu schlechten Ernten gekommen. Der Winter 1258 sei durchschnittlich bis streng gewesen, 1260 dagegen mild. 1263 verzeichnet das Buch immerhin einmal einen „ausgesprochen strengen“ Winter, der aber auch nicht als ausgesprochen ungewöhnlich dargestellt wird.

Das Internet ist natürlich auch eine wichtige Quelle. Relativ unverdächtig, an der Klimadiskussion teilzuhaben, ist eine historisch-kirchengeschichtliche Webseite über Meister Eckhard, den spätmittelalterlichen Theologen. Sie ist ausgesprochen inhaltsreich und enthält neben unzähligen Fakten zu Meister Eckhard selbst eine Chronologie, was so in dessen Lebenszeit in der Welt geschah. Sogar Wetterberichte sind da aufgeführt. Einige Zitate:

1259:Der Winter weder zu mild noch zu kalt. Der Frühling viel zu trocken. Nach einer Wormser Quellenangabe ist es von März bis August heiß und trocken; kaum Niederschläge. Deshalb war die Weinlese so gut, dass die Fässer wertvoller waren als der Wein.“

1260: „Das Jahr beginnt kalt. Ausgesprochen milder Winter.“

1261:Die Feldfrüchte und der Wein gerieten überwiegend gut.“

1263 und 1264 ist von strengen Wintern und Überschwemmungen die Rede. Aber schon 1266 wird der Winter als milde und niederschlagsreich beschrieben. Erst ab 1267 ist dann vielfach von Problemen die Rede, etwa Überschwemmungen, strengen Wintern und Ernteschäden. Von einer „Katastrophe“ aufgrund des Vulkanausbruchs von 1258 freilich ist nichts zu finden. Was ist dann von der These multipler und kumulierender Vulkanausbrüche als Auslöser der Kleinen Eiszeit zu halten?

Wie die Temperaturkurven zeigen, hatten die Durchschnittswerte schon ab Mitte des 12. Jahrhunderts begonnen, langsam abzusinken. Sicher hat es auch da und dort örtliche Missernten gegeben, die waren in jener Zeit nicht ungewöhnlich. Richtig unangenehm wurde es für mehrere Jahrzehnte ab etwa 1311 – eine kräftige Abkühlung mit all ihren negativen Folgen. Diese Kälteperiode im 14. Jahrhundert war aber noch keineswegs die „Kleine Eiszeit“. Denn danach wurde es mehrere Jahrzehnte lang bis etwa 1450 noch einmal merklich wärmer. Erst ab dieser Zeit fielen die Temperaturen mehrere Jahrhunderte lang tatsächlich deutlich ab. Regen, Stürme, Überschwemmungen, Kälteperioden und Missernten traten nun häufiger ein. Das Leben – und Überleben – der Menschen war fortan deutlich schwieriger als in der warmen Periode des Hochmittelalters.

Abgesehen von der ausgebliebenen Katastrophe von 1258: Was wissen wir denn überhaupt über die klimatischen Wirkungen solcher Eruptionen? Im Jahrbuch 2010/11 der Max-Planck-Gesellschaft hat sich Claudia Timmreck vom MPI für Meteorologie mit dieser Frage beschäftigt, und zwar am Beispiel der Toba-Eruption vor etwa 74 000 Jahren. Toba war ein Supervulkan auf der Insel Sumatra. Diese Eruption, die immerhin rund 2800 Kubikkilometer Material und Unmengen Schwefeldioxid in die Atmosphäre gebracht hat, soll damals die Temperaturen um bis zu 18 Grad Celsius gesenkt und so die Menschheit an den Rand des Aussterbens gebracht haben. Das vermutete zumindest 1998 der amerikanische Anthropologe Stanley Ambrose von der University of Illinois. Erste Zweifel an dieser scheinbar so plausiblen These kamen auf, als sich zeigte, dass doch mehrere menschliche Gemeinschaften sowie tierische Populationen überlebt hatten, und zwar sogar vergleichsweise nahe am Geschehen.

Claudia Timmreck hat nun versucht, das damalige Geschehen in der Lufthülle zu modellieren und kam zu dem Resultat, dass die Folgen – selbst einer solchen Riesenexplosion wie die von Toba – vergleichsweise überschaubar sind. Die Sommertemperaturen über den Kontinenten der Nordhalbkugel würden ein Jahr nach dem Ausbruch am stärksten sinken, nämlich um 6 bis maximal 12 Grad Celsius. Über dem tropischen Pazifik sei die Abkühlung schwächer, zumal dort die natürliche Variabilität der Temperaturen durch das als ENSO (El Niño-Southern Oscillation) bezeichnete Phänomen besonders stark“ sei. „Im Winter“, schreibt sie weiter, „sind positive Temperaturanomalien über dem nördlichen Teil von Eurasien zu finden. Advektion von milder feuchter Luft vom Atlantik hebt den Effekt von strahlungsbedingter Abkühlung in dieser Region auf. Das ist auch nach den meisten historischen Vulkaneruptionen beobachtet worden. Die relativ geringfügigen Verschiebungen der Frostlinie legen nahe, dass es temperaturbedingt keine dramatischen großräumigen Veränderungen in der Biosphäre gegeben hat.“

Und das Resultat ihrer Modellierung sei, dass „es einen starken negativen Rückkopplungsprozess gibt, der bis dato in den Berechnungen des Klimaeffektes von sehr großen Vulkaneruptionen noch nicht berücksichtigt worden ist. Dieser Effekt resultiert aus der Aerosol-Mikrophysik und führt dazu, dass der Klimaeinfluss sehr großer Eruptionen erheblich geringer ist als bisher angenommen.“

Es ist eine alte Erfahrung in der Wissenschaft: Vorsicht vor allzu plausiblen Hypothesen. Vielleicht gilt dies auch für die These von den kumulativen Vulkanwirkungen.

 

Mehr zum ominösen Vulkanausbruch 1258 und die fehlende globale Klima-Wirkung im Kalte-Sonne-Blogartikel „Die Kleine Eiszeit als weltweite Kältephase: Welche Rolle spielten die Vulkane?“. Auszug: „Der beschriebene große Vulkanausbruch um 1258 war wohl der größte Ausbruch eines Vulkans in den Tropen während der letzten 1000 Jahre. Und trotzdem hat er in Mann’s fragwürdigen Baumring-Rekonstruktionen nahezu keine Spur hinterlassen.“
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