Der städtische Wärmeinseleffekt in Deutschland – Teil 1

Von Dipl.-Phys. Dr. Jan Olzem

Städte und besonders urbane Ballungsräume weisen im Vergleich zu ihrem ländlich geprägten Umland eine höhere durchschnittliche Lufttemperatur auf. Dieses Phänomen ist als städtischer Wärmeinseleffekt (engl. urban heat island, UHI) bekannt. Im kaltesonne-Blog ist schon mehrfach darüber berichtet worden. Die maximalen Temperaturdifferenzen zur Umgebung liegen bei Kleinstädten meist im Bereich von etwa 3-4°C, können bei Großstädten aber durchaus auch 10°C und darüber betragen, insbesondere nachts während längerer Hitzeperioden. Der städtische Wärmeinseleffekt hat eine Reihe verschiedener Ursachen wie etwa die Strahlungsabsorption und Wärmespeicherung durch Bebauung und Versiegelung (z.B. Asphalt und Beton), verringerte Verdunstungskühlung und eingeschränkte Luftzirkulation.

Aufgrund des seit Jahrzehnten in Deutschland anhaltenden Trends zur Suburbanisierung, d.h. der Abwanderung der Bevölkerung aus den Innenstädten in das Umland, steigt auch der Grad der Bebauung und Flächenversiegelung in den städtischen Randgebieten. Es liegt nahe, dass im Zuge dieses Prozesses auch der städtische Wärmeinseleffekt und damit die Lufttemperatur in den Städten zunimmt. Was passiert nun, wenn eine Wetterstation, die sich jahrelang auf freier Fläche außerhalb der Stadt befand, zunehmend umbaut wird? Geschieht das überhaupt? Wenn ja, wie wirkt es sich auf die Messung der langfristigen Wetterstatistik – des Klimas – aus? Hat der Wärmeinseleffekt einen Einfluss auf die Messung der Temperaturentwicklung in Deutschland? Diesen Fragen möchte ich in diesem Artikel nachgehen.

 

Abbildung 1: Links: die geografische Position aller betrachteter DWD-Wetterstationen (rote Punkte); rechts: DWD-Messfeld auf dem Hohen Peißenberg (Quelle: Deutscher Wetterdienst)

 

Hierzu benötigt man zunächst eine geeignete Datenbasis. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) stellt auf seinem FTP-Server umfangreiche Beobachtungsdaten aller seiner Stationen zur Verfügung. Auch gemittelte Zeitreihen können — neben einer Fülle anderer Daten — von dort heruntergeladen werden. Aktuelle und historische Temperaturdatensätze umfassen Beobachtungen von insgesamt 1053 Wetterstationen in Deutschland. Laut DWD handelt es sich dabei um qualitätsgeprüfte rohe Messwerte. Nicht alle Stationen waren jedoch durchgehend in Betrieb und existieren zum Teil heute nicht mehr. Im Februar 2017 sind noch von 578 aktiven Stationen Temperaturmesswerte vorhanden. Auch waren nicht alle Stationen dabei immer am selben Ort. Viele sind im Laufe der Jahre teils mehrfach verlegt worden, wobei zwischen den alten und neuen Standorten manchmal auch geringe Höhenunterschiede auftraten. Die linke Seite der Abbildung 1 zeigt eine Karte mit der Position aller betrachteten Stationen. Als Hintergrund für die Grafik habe ich die Nighttime Lights (d.h. die nächtliche Lichtintensität durch künstliche Lichtquellen) gewählt, von denen später noch ausführlich die Rede sein wird.

 

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl der Wetterstationen für verschiedene Stationshöhenintervalle

 

Schauen wir uns zunächst einmal an, wie sich das Messnetz des DWD mit den Jahren verändert hat. In Abbildung 2 ist die Entwicklung der Anzahl der Wetterstationen von 1900 bis heute dargestellt, wobei zwischen verschiedenen Höhenlagen (über N.N.) unterschieden wird. Deutlich erkennbar ist zunächst, wie die in den 1920er Jahren begonnene rasche Erweiterung des Messnetzes vermutlich kriegsbedingt zunächst zum Stillstand kam, um dann nach 1945 umso schneller fortgesetzt zu werden. Seit den späten 50er Jahren ist die Gesamtzahl der Stationen dann in etwa konstant geblieben. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es sich fortan immer um die selben Stationen gehandelt haben muss. Auch kontinuierliche Stillegungen alter Stationen und die parallele Inbetriebnahme neuer Stationen würden zu einem Bild wie in Abbildung 2 führen.

Interessant ist auch die Höhenverteilung. Die weitaus meisten Stationen befinden sich im Flachland unter 100 m über N.N. Es gibt jedoch auch einen erheblichen Anteil von Stationen in Höhenlagen oder im Gebirge. Die größte Höhe weist hierbei die Station Zugspitze mit 2964 m über N.N. auf, gefolgt von den inzwischen stillgelegten Messstellen Watzmannhaus (1923 m) Wendelstein (1832 m).

 

Abbildung 3: Änderung der gemittelten Höhe alle Wetterstationen

 

Betrachtet man die gemittelte Höhe aller Wetterstationen (Abbildung 3), so fällt auf, dass sie keineswegs konstant geblieben ist. Das Mittel liegt heute ca. 30 m tiefer als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Einige hoch gelegene Stationen wurden gegen Ende der 30er Jahre aufgegeben, so dass der Mittelwert insgesamt abnahm. Es sind auch in späteren Jahren noch kleinere Schwankungen erkennbar, so etwa um die Jahrtausendwende.

Weshalb ist das wichtig? Wir alle sind vertraut mit der Beobachtung, dass die Lufttemperatur mit der Höhe abnimmt. Dieser sogenannte atmosphärische Temperaturgradient ist abhängig von der Luftfeuchte und beträgt im Mittel etwa 0,5°C pro 100 Höhenmeter, d.h. auf einem Berg in 1000 m Höhe ist es im Schnitt rund 5°C kühler als auf Meeresspiegelniveau, sofern man andere die Temperatur beeinflussende Faktoren einmal ausser Acht lässt. Dies bedeutet aber auch, dass die Skala der Temperaturen, die vom Thermometer gemessen werden, nicht unwesentlich von der Stationshöhe abhängt. Insbesondere können die Temperaturzeitreihen zweier beliebiger Stationen aus diesem Grunde nicht ohne weiteres miteinander verglichen werden.

 

Abbildung 4: Temperaturmittel 1961-1990 für verschiedene Stationen und gemessene atmosphärische Temperaturgradienten (rote Linien) im Norden Baden-Württembergs für die Monate Januar (links) und Juli (rechts). Die Gradienten betragen 0,55°C bzw. 0,59°C pro 100 Höhenmeter.

 

Um dieses Problem zu umgehen und den Einfluß der Stationshöhe auf die Temperaturen zu unterdrücken, wurden zunächst alle Temperaturmesswerte auf Meeresspiegelniveau korrigiert. Die Temperaturen einer Wetterstation, die man durch diese Korrektur erhält, verhalten sich dann so, als würde die Stationshöhe 0 m betragen, wobei jedoch alle anderen temperaturrelevanten Einflussfaktoren unberührt bleiben. Hierfür wurden die DWD-Wetterstationen in geografische Regionen zusammengefasst und die Höhenabhängigkeit der Temperatur für jede Region jahreszeitabhängig aus den Daten bestimmt. Nach Glättung von Ausreissern und Interpolation kann dann für jeden Ort in Deutschland und für jeden Monat des Jahres ein Temperaturgradient angegeben werden, mit dem sich die Höhe einer Wetterstation jeweils individuell auf N.N. reduzieren lässt. Die genaue Vorgehensweise orientiert sich an dieser Publikation des DWD. Abbildung 4 zeigt beispielhaft den Zusammenhang zwischen Höhe und gemessenem Temperaturmittel der Stationen einer Region im Südwesten Deutschlands im Winter bzw. im Sommer. Es bleibt anzumerken, dass eine solche Datenkorrektur aus verschiedenen Gründen nicht perfekt sein kann, so dass der Einfluß der Höhe auf die Temperaturmessung zwar deutlich verringert, aber nicht vollständig eliminiert wird.

 

Abbildung 5: Zeitreihen der Jahresmitteltemperatur Deutschland: unkorrigierte Stationsdaten (grau-blau), höhenkorrigierte Stationsdaten (rot) und DWD-Zeitreihe (grün)

 

Mit den so gewonnenen Stationsdaten können nun Temperaturzeitreihen ermittelt und mit den vom DWD veröffentlichten Zeitreihen verglichen werden. In Abbildung 5 sind die Jahresmitteltemperaturen für Deutschland dargestellt, die aus den unkorrigierten Temperaturdaten (grau-blaue Kurve) und den höhenkorrigierten Daten (rote Kurve) errechnet wurden. Sofort fällt auf, dass die korrigierten Mittelwerte durchgehend ca. 1,5°C höher ausfallen als die unkorrigierten. Ein kurzer Blick auf Abbildung 3 liefert schnell die Erklärung hierfür: Der Mittelwert aller Stationshöhen beträgt grob 300 m über N.N. Die Höhenkorrektur wirkt nun wie ein „Abstieg“ auf Meeresspiegelniveau. Mit dem oben angesprochenen atmosphärischen Temperaturgradienten von rund 0,5°C pro 100 m würde man also einen Temperaturanstieg von rund 1,5°C erwarten, was sich sehr gut mit der beobachteten Differenz deckt.

Die grünen Punkte in Abbildung 5 geben die vom DWD veröffentliche Zeitreihe der Jahresmitteltemperatur für Deutschland wieder. Sofort wird deutlich, dass die DWD-Zeitreihe nicht aus höhenkorrigierten Daten gewonnen worden ist: Es zeigt sich eine sehr gute Übereinstimmung mit der aus den unkorrigierten Daten ermittelten Zeitreihe, mit den höhenkorrigierten Daten jedoch überhaupt nicht. Das klingt zunächst überraschend, ist aber durchaus legitim, sofern das Höhenprofil der Wetterstationen mit der Zeit nicht zu stark variiert (wir kommen später noch darauf zurück). Die absolute Temperaturskala spielt dann keine Rolle, und es geht lediglich um die Änderung des Temperaturmittels mit der Zeit. Die hier beschriebene Höhenkorrektur wird sich übrigens dennoch später als nützlich erweisen.

Vergleicht man die grünen DWD-Punkte und die unkorrigierten Jahresmitteltemperaturen (grau-blaue Kurve) in Abbildung 5 etwas genauer, erkennt man einige geringfügige Unterschiede. So weicht einerseits die DWD-Jahresmitteltemperatur für das Jahr 1945 um über 1°C von Mittelwert der Rohdaten ab. Das ist nicht wirklich verwunderlich. Sicherlich konnten nicht alle Wetterstationen in diesem schwierigen Jahr verlässliche Daten liefern, und man kann davon ausgehen, dass dies beim DWD bekannt ist und entsprechend berücksichtigt wurde. Systematische Abweichungen findet man in den Jahren vor 1940, wo die Jahresmittel des DWD durchgehend ein wenig höher ausfallen als diejenigen der unkorrigierten Rohdaten. Die Differenz beträgt etwa 0,1-0,2°C. Was ist der Grund hierfür? Vielleicht hat es wieder etwas mit der Höhe zu tun. Der Abbildung 3 entnehmen wir, dass die Wetterstationen in den Jahren vor Kriegsbeginn im Mittel etwa 30 m höher lagen als in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit dem atmosphärischen Temperaturgradienten von rund 0,5°C pro 100 m ergibt das eine zu erwartende Abweichung von 0,15°C, was ziemlich gut mit der beobachteten Differenz übereinstimmt. Man hat beim DWD also offensichtlich die Verlagerung der Wetterstationen hin zu geringeren Höhen durchaus berücksichtigt und die Zeitreihe entsprechend korrigiert. So weit, so gut.

Wir haben nun eine gute Vorstellung davon, wie die Zeitreihe der Jahresmitteltemperaturen des DWD zustande kommt. Die interessante Frage ist nun, welchen Einfluß das Wachstum der Städte auf die Temperaturen gehabt hat. Um dies zu ermitteln, ist es notwendig, diejenigen Wetterstationen zu identifizieren, die von der Suburbanisierung betroffen waren, und zu prüfen, ob sich die dort gemessenen Temperaturen anders verhalten als im ländlichen Umland. Das Mittel der Wahl für diesen Zweck sind Satelliten – und Straßenlaternen. Darauf werde ich im zweiten Teil des Artikels näher eingehen.

 

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