CERN-CLOUD-Projekt: Kühleffekt anthropogener Aerosole offenbar geringer als gedacht. Klimaprognosen müssen nach unten korrigiert werden

Einer der Knackpunkte der heutigen Klimamodelle ist der sogenannte Aerosoljoker, den wir bereits in unserem Buch ‚Die kalte Sonne‘ kritisch unter die Lupe nahmen. Das Problem: Die IPCC-Modelle gehen von einer so starken CO2-Erwärmungswirkung aus, dass die Temperaturen heute eigentlich viel höher sein müssten. Der IPCC behalf sich mit einm Trick und kühlte kurzerhand die überschüssige theoretische Wärme wieder mit anthropogenen Aerosolen, vor allem Schwefeldioxid (SO2), herunter. In den Zukunftsprognosen wurde dann das SO2 langsam heruntergefahren, so dass enorme Erwärmungsraten angenommen werden konnten.

Bereits vor einem Jahr, im April 2015, warnten Forscher davor, dass man die Kühlwirkung der Aerosole wohl überbeansprucht hat (siehe unseren Blogartikel „Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie: Aerosole kühlen weniger stark als vormals angenommen„). Dieser Verdacht scheint sich nun zu erhärten. Im Rahmen des CLOUD-Projekts am CERN fanden Forscher nun weitere Hinweise darauf, dass man den Aerosol-Effekt in den Modellen wohl kräftig herunterkorrigieren muss. Die Ergebnisse wurden nun von mehreren Teams in Nature, Nature Communications und Science veröffentlicht. Die Universität Wien gab hierzu am 25. Mai 2016 die folgende Pressemitteilung heraus:

Klimaforschung: Verschmutzte Luft führt nicht zu mehr Wolken
Vor industrieller Revolution gab es mehr Wolken am Himmel als angenommen

Wolkiger als bisher vermutet präsentierte sich das Klima vor der industriellen Revolution. Diesen Rückschluss lassen neueste Experimente am CERN zu, an dem auch Aerosolphysiker der Universität Wien beteiligt waren. Wie sich beim CLOUD-Experiment zeigt, produzieren organische Dämpfe, die von Bäumen in die Umgebung abgegeben werden, zahlreiche Aerosolpartikel in der Atmosphäre. Bislang ging man davon aus, dass Schwefelsäure – vorwiegend aus fossilen Brennstoffen – essentiell ist, um Partikelneubildung zu initiieren. Weiters konnte gezeigt werden, dass diese sogenannten biogenen Dämpfe auch beim Wachstum der neugebildeten Teilchen bis hin zu Größen von Wolkenkondensationskernen eine Schlüsselrolle spielen. Die Ergebnisse der Studie erscheinen aktuell im renommierten Fachmagazin Nature.

Der internationale Klimabeirat (IPCC) betrachtet die Zunahme an Aerosolpartikeln und Wolken seit vorindustrieller Zeit als größten Unsicherheitsfaktor bei der Klimaerwärmung. Das Experiment CLOUD (Cosmics Leaving OUtdoor Droplets) wurde entwickelt um zu verstehen, wie sich in der Atmosphäre neue Aerosolpartikel bilden und wachsen. So kann auch der Einfluss von Ionen untersucht werden, die durch kosmische Strahlung entstehen. Quantitative Messungen ergaben dabei eine Zunahme der Produktionsrate von organischen Teilchen um einen Faktor 10-100 verglichen mit Situationen ohne diese Ionen. Daraus lässt sich schließen, dass kosmische Strahlung in vorindustrieller Zeit einen größeren Einfluss auf Aerosol- und Wolkenbildung hatte, als unter heutigen – relativ schmutzigen – Bedingungen.

Über CLOUD
Das CLOUD-Experiment wird von einem internationalen Konsortium, bestehend aus 21 Instituten, geleitet, an dem auch neun österreichische ForscherInnen aus dem In- und Ausland mitarbeiten. Ein Team um Paul Winkler von der Fakultät für Physik der Universität Wien beteiligte sich an den Experimenten vorrangig durch die Bestimmung der Aerosolgrößenverteilung, die bei der Entstehung von Wolken essentiell ist. „Dazu werden Teilchen in einem veränderlichen elektrischen Feld eines Zylinderkondensators nach ihrer Größe selektiert und anschließend detektiert“, erklärt der Aerosolphysiker Paul Winkler. In weiterer Folge kann die Häufigkeitsverteilung von Aerosolteilchen in unterschiedlichen Größenklassen sowie das Wachstum von dynamischen Aerosolteilchen bestimmt werden.

Folgen für Klimaforschung
Die Konsequenzen der neuen Erkenntnisse sind vielfältig. “Ioneninduzierte Nukleation von rein biogenen Teilchen spielt offenbar eine wichtige Rolle in sauberen Umgebungen. Es handelt sich hier um einen bislang unbekannten Effekt, durch den die Natur Aerosolteilchen ohne Verschmutzung bilden kann“, so Winkler. Wenn sich diese neuen Teilchen einmal gebildet haben, können weitere, gleichzeitig vorhandene organische Dämpfe das Partikelwachstum beschleunigen. Ein schnelles Anwachsen erhöht die Überlebenschancen von Nanoteilchen, die sich sonst aufgrund ihrer hohen Diffusivität rasch an größere Teilchen anlagern und wieder verloren gehen. Wenn diese Teilchen allerdings eine Größe von ca. 100 Nanometern erreichen, können sie als Wolkenkondensationskerne indirekt die Strahlungseigenschaften von Wolken beeinflussen und werden somit klimawirksam. „Die ioneninduzierte Nukleation von Teilchen könnte sogar Bewegung in die spannende Frage bringen, ob es in vorindustrieller Zeit einen physikalischen Mechanismus im Zusammenhang mit der Sonnen-Klima-Variabilität gab“, erklärt Winkler abschließend.

Publikationen in „Nature“
Kirkby, J. et al. Ion-induced nucleation of pure biogenic particles. Nature,
Doi 10.1038/nature17953 (2016).

Tröstl, J. et al. The role of low-volatility organic compounds in initial particle growth in the atmosphere. Nature,
Doi 10.1038/nature18271 (2016).

Bei den Folgen für die Klimaforschung hätte man gerne noch erwähnen können, dass damit die CO2-Klimasensitivität wohl weiter nach unten absacken wird. Ein (zu) heißes Eisen? Stattdessen versucht man lieber noch einmal die Sonne zu mobben. In der heutigen, schmutzigen Atmosphäre würde die kosmische Strahlung bei der Wolkenbildung wohl keine Rolle spielen. Für die vorindustrielle Zeit mit sauberer Atmosphäre könnte dies aber anders aussehen, sagen die Forscher. Krampfhaft versucht man den viel zu gering angesetzten Strahlungsantrieb des IPCC zu rechtfertigen. Ein nicht sehr nachhaltiger Ansatz. Der Elefant im Raum: Die stärkste Erwärmung im späten 20. Jahrhundert fällt mit der aktivsten solaren Phase zusammen. Wie lange wird es noch dauern, bis ein uns eins zusammengezählt sind?

Die Webplattform Wissenschaft aktuell erläuterte die Ergebnisse zu den kosmischen Strahlen wie folgt:

Auf die künstliche Atmosphäre lenkten die Forscher einen Strahl positiv geladener Teilchen, sogenannter Pionen, den sie mit einem Proton-Synchrotron erzeugten. Damit simulierten sie den Einfluss kosmischer Strahlung, die stetig in die Erdatmosphäre eindringt. Dieser Teilchenbeschuss brachte die organischen Moleküle dazu, sich zu etwa zwei Nanometern kleinen Partikeln zusammenzuballen. Weitere Messungen belegten, dass diese Partikel in Gegenwart flüchtiger organischer Substanzen weiter wuchsen, um effiziente Kondensationskeime zu bilden. Parallel untermauerten die Forscher diesen Mechanismus mit Computermodellen.

Angesichts der Bedeutung der neuen Ergebnisse, wollen wir weitere Pressemitteilungen und Medienberichte hierzu anschauen. Die Universität Frankfurt gab am selben Tag die folgende Meldung heraus. Im ersten Absatz wird die Relevanz der Studien gut zusammengefasst:

Wolken und Klima in der vorindustriellen Zeit
Die durch den Menschen verursachten Aerosolpartikel wirken der Erwärmung der Erdatmosphäre durch Treibhausgase entgegen. Doch ist dieser Effekt vielleicht kleiner als gedacht, da auch schon in vorindustrieller Zeit durch die Ausdünstungen von Bäumen viele Partikel entstanden. Das folgt aus einer Untersuchung am internationalen CLOUD-Experiment, an dem Atmosphärenforscher der Goethe-Universität maßgeblich beteiligt waren. Die Ergebnisse erscheinen heute in Form von drei Publikationen in den renommierten Fachzeitschriften „Science“ und „Nature“.

In vorindustrieller Zeit kühlte der Duft üppiger Pinienwälder die Atmosphäre, denn Pinien sondern organische Verbindungen ab, die zur Wolkenbildung beitragen. Insofern kompensieren die durch den Menschen verursachten Aerosole den Treibhauseffekt vermutlich nicht so stark, wie bisher angenommen.

„Diese Ergebnisse sind die wichtigsten, die bisher an der CLOUD-Kammer am CERN erzielt worden sind“, betont der Sprecher des CLOUD-Experiments, Jasper Kirkby, Honorarprofessor an der Goethe-Universität: „Berücksichtigt man in Zukunft die Entstehung und das Wachstum rein organischer Aerosolpartikel bei der Entwicklung von Klimamodellen, dürfte das wesentlich dazu beitragen, den Einfluss menschlichen Handelns auf die Wolken und das Klima besser zu verstehen.“

Prof. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt an der Goethe-Universität ergänzt: „Wir gehen davon aus, dass der jetzt entdeckte Prozess dazu führt, dass wir die Wolkenbildung in früheren Zeiten neu bewerten müssen, da es mehr Partikel gegeben haben müsste als bisher angenommen. Der Unterschied zum heutigen Zustand würde dann geringer ausfallen als bisher gedacht.“

Das CLOUD-Experiment untersucht, wie sich neue Aerosolpartikel in der Atmosphäre bilden und welchen Einfluss sie auf das Klima haben. Nehmen die Aerosolpartikel zu, wie es durch menschliche Aktivitäten der Fall ist, wird mehr Sonnenlicht reflektiert und die Wolken werden heller, weil sich mehr Wolkentröpfchen bilden. Um diesen kühlenden Effekt durch anthropogene Einflüsse abschätzen zu können, müssten die Aerosolmengen aus der Zeit vor der Industrialisierung bekannt sein. Da diese durch direkte Messung nicht zugänglich sind, werden sie durch zuverlässige Laboruntersuchungen wie dem CLOUD-Experiment simuliert und in Klimamodellierungen berücksichtigt.

In vorindustrieller Zeit trugen vor allem die von Bäumen abgesonderten organischen Verbindungen zur Aeorosolbildung bei. Die Forscher untersuchten alpha-Pinen, eine Substanz, die Pinienwäldern den charakteristischen angenehmen Duft verleiht. Sie gehört zu den wichtigsten biogenen Emissionen. Alpha-Pinen wird in der Atmosphäre durch Ozon schnell oxidiert und in nachfolgenden Reaktionsketten entstehen dabei auch einige extrem schwerflüchtige Substanzen. Sie treten aber nur in sehr geringen Mengen von etwa 1 Molekül pro 1 Billionen Luftmoleküle auf.

Die CLOUD-Experimente zeigen, dass sich aus den extrem schwerflüchtigen organischen Verbindungen sehr effizient neue Partikel bilden. Dieser Prozess läuft unter Atmosphärenbedingungen ab, auch ohne Beteiligung von Schwefelsäure. Bisher ging man davon aus, dass Schwefelsäure an der Partikelbildung in der Atmosphäre nahezu immer beteiligt ist. Schwefelsäure stammt in der Atmosphäre hauptsächlich aus Schwefeldioxid, das aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammt.

Weiterhin haben die Forscher herausgefunden, dass Ionen aus der kosmischen Strahlung die Bildung der organischen Partikel erheblich verstärken – um einen Faktor 10-100 im Vergleich zur Partikelbildung ohne Ionen, solange die Konzentrationen der partikelbildenden Gase niedrig sind. „Unsere Untersuchungen zeigen weiterhin, dass diese schwerflüchtigen organischen Substanzen auch in unverschmutzter Umgebung das Wachstum der Partikel dominieren – und zwar über den ganzen Größenbereich von Clustern aus wenigen Molekülen bis hin zu Partikelgrößen von 50-100 Nanometern, die groß genug sind, um als Wolkenkeime dienen zu können“, erklärt Joachim Curtius. Die Wachstumsraten nehmen zu, je größer die Partikel werden, da immer mehr Oxidationsprodukte, auch solche mit höherer Flüchtigkeit, an den größer werdenden Partikeln kondensieren können. Dieser Prozess wird quantitativ mit einem Kondensations-Modell für die verschiedenen organischen Substanzen beschrieben.

Warum ist dies wichtig für unser Verständnis des Klimas? Es könnte sein, dass es sich um einen sehr wichtigen, weil effizienten Mechanismus zur Bildung von organischen Partikeln unter natürlichen Bedingungen handelt. Sobald sich die Partikel gebildet haben, wachsen sie durch die Kondensation von weiteren ähnlichen sauerstoffhaltigen organischen Verbindungen an. Weil die neugebildeten Partikel schnell wachsen, geht ein geringerer Anteil durch Zusammenstöße mit bereits vorhandenen großen Partikeln verloren. So wachsen mehr Partikel bis zu Größen, bei denen sie als Wolkenkeime dienen und das Klima beeinflussen können.

Eine weitere Veröffentlichung, die gleichzeitig in Science erscheint, berichtet von Beobachtungen aus dem Observatorium am Jungfraujoch, in denen die rein organische Nukleation auch in der freien Troposphäre nachgewiesen wurde. Dies belegt die Relevanz der Laboruntersuchungen von CLOUD für die Atmosphäre.

Publikationen:
Kirkby, J. et al.: Ion-induced nucleation of pure biogenic particles, in: Nature, doi:10.1038/nature17953

Tröstl, J. et al:The role of low-volatility organic compounds in initial particle growth in the atmosphere, in: Nature, doi:10.1038/nature18271.

Bianchi, F. et al. :New particle formation in the free troposphere: A question of
chemistry and timing, in: Science, doi 10.1126/science.aad5456, 2016

 

 

In einer Pressemitteilung der Carnegie Mello University zu den neuen Studien wird die kühlende Rolle der Aerosole in den Klimamodellen gut beschrieben:

Clouds provide clue to better climate predictions
A research group from the CERN Cloud experiment, including scientists from Carnegie Mellon University’s College of Engineering and Mellon College of Science, have uncovered the processes behind the formation and evolution of small atmospheric particles free from the influence of pollution. Their findings are key to creating accurate models to understand and predict global climate change. The findings are published in the May 26 [2016] issue of Nature.

Clouds and aerosols-small airborne particles that can become the seeds upon which clouds form-are essential to climate predictions because they reflect sunlight back into space. Reflecting light away from Earth can have a cooling effect, masking some of the warming caused by greenhouse gases. „The best estimate is that about one-third of the warming by greenhouse gas emissions is masked by this aerosol cooling, but the fraction could be as large as half and as little as almost nothing,“ says Neil Donahue, professor of chemical engineering, engineering and public policy, and chemistry at Carnegie Mellon.

In order to have complete climate prediction models, scientists need to incorporate clouds and aerosols into their calculations, but understanding how new aerosol particles form and grow in the atmosphere, and how they affect clouds and climate, has been challenging. Scientists involved with CERN’s CLOUD experiment study use a large chamber to simulate the atmosphere and track the formation and growth of aerosol particles and the clouds they seed. The latest research shows that new particles can form exclusively from the oxidation of molecules emitted by trees without the presence of sulfuric acid. Sulfuric acid largely arises from fossil fuels, so the new findings provide a mechanism by which nature produces particles without pollution.

„This softens the idea that there may be many more particles in the atmosphere today due to pollution than there were in 1750, and suggests that the pristine pre-industrial climate may have had whiter clouds than presently thought,“ says Donahue.

The team’s research has lasting climate implications. „Earth is already more than 0.8C than it was in the pre-industrial epoch, and this is with some masking by aerosol particles. As the pollution subsides, up to another 0.8C of hidden warming could emerge,“ says Donahue.

Während die beteiligten Wissenschaftler in ihren Pressemitteilungen nur vage Andeutungen machen, dass man die Modelle nun „neu bewerten“ müsse, werden einige Zeitungsartikel deutlicher. The Daily Star klärte seine Leser gleich in der Titelzeile darüber auf, dass die Temperaturprognosen wohl abgemildert werden müssen:

Scientists make news clouds which may lessen global warming
A new discovery about how clouds form may scale back some of the more dire predictions about temperature increases caused by man-made global warming. That’s because it implies that a key assumption for making such predictions is a bit off. „What this will do is slightly reduce and sharpen the projections for temperature during the 21st century,“ said researcher Jasper Kirkby. […] Kirkby said it’s too soon to tell how much less warming the new study implies. Other recent studies found flaws in climate forecasts because of uncertainty about clouds that would increase, not decrease, possible warming in the future.

Ganzen Artikel in The Daily Star lesen

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