Beschleunigter Meeresspiegelanstieg an Teilen der US-Ostküste liegt noch vollständig im Bereich der natürlichen Variabilität

Entlang eines 1000 km langen Streifens der US-Ostküste stieg in den letzten Jahrzehnten der Meeresspiegel schneller an als im globalen Durchschnitt. Das Gebiet fällt in etwa mit der US mittelatlantischen Küste („U.S. mid-Atlantic coast“) zusammen, die zwischen Neuengland und den Südstaaten liegt und Delaware, Maryland, New Jersey, Pennsylvania, Washington D.C., New York, Virginia, West Virginia und North Carolina umfasst. Einige Forscher begingen in der Vergangenheit bereits den Fehler, diese gesteigerten Meeresspiegelraten als globale Durchschnittswerte fehlzuinterpretieren.

Eine Reihe von Forschergruppen haben sich in den letzten 12 Monaten mit dem Phänomen beschäftigt. Was steckt hinter der anomal hohen Meeresspiegelanstiegsrate in dieser Region? Im Februar 2013 veröffentlichte hierzu ein Forscherteam um Tal Ezer von der Old Dominion University in Norfolk, Virginia, die Arbeit „Gulf Stream’s induced sea level rise and variability along the U.S. mid-Atlantic coast” im Journal of Geophysical Research. Die Wissenschaftler fanden, dass der seit 2004 erschlaffende Golfstrom für den beschleunigten Meeresspiegelanstieg verantwortlich zeichnet.

Im August 2013 erschien dann in den Geophysical Research Letters eine Studie mit dem Titel „Does the mid-Atlantic United States sea level acceleration hot spot reflect ocean dynamic variability?” von Robert Kopp von der Rutgers University in Piscataway, New Jersey. Kopp fand heraus, dass sich der Meeresspiegelanstieg an der US mittelatlantischen Küste seit Mitte der 1970er Jahre beschleunigt hat. Noch könne man aber nicht sagen, ob es sich um normale Schwankungen in der Ozeandynamik handelt oder ob es der Beginn eines Langzeittrends ist. Kopp schreibt, dass die Meeresspiegelbeschleunigung noch zwei weitere Jahrzehnte andauern müsste, bevor man die Entwicklung als noch nie dagewesen bezeichnen kann. Der Wissenschaftler erkannte zudem, dass es systematische Beeinflussungen des Meeresspiegels in der Region durch Ozeanzyklen wie die Atlantische Multidekadenoszillation (AMO), die Nordatlantische Oszillation (NAO) sowie den Golfstrom gibt.

Wiederum einige Monate später, im Oktober 2013, publizierten Jianjun Yin und Paul Goddard von der University of Arizona in Tucson in den Geophysical Research Letters den Artikel „Oceanic control of sea level rise patterns along the East Coast of the United States“. Auch diese Forscher sehen den Golfstrom und seine nordwärtige Verschiebung als wichtigen Faktor für die Beschleunigung des Meeresspiegels an Teilen der US mittelatlantischen Küste.

Im gleichen Monat erschien in den Geophysical Research Letters die Studie „Sea level rise, spatially uneven and temporally unsteady: Why the U.S. East Coast, the global tide gauge record, and the global altimeter data show different trends” von Tal Ezer. Der Forscher findet in der Studie regional unterschiedlich ausgeprägte, systematische Beeinflussungen des Meeresspiegels durch den Golfstrom, die AMOC (Atlantic Meridional Overturning  Circulation, den polwärts gerichteten Wärmestrom des nördlichen Atlantiks) sowie über Jahrzehnte hinweg schwankende Ozeanzyklen.

Im November 2013 schließlich veröffentlichte ein Forscherteam der Woods Hole Oceanographic Institution um Magdalena Andres in den Geophysical Research Letters ein Paper mit dem Titel „Interannual sea level variability in the western North Atlantic: regional forcing and remote response”. In der Arbeit kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der Meeresspiegel der US-Ostküste signifikant im Takt wechselnder Windregime schwankt. Die über das Jahr gemittelten Änderungen liegen dabei im Bereich von ±50 mm, was um den Faktor zehn höher als der Langzeit-Trend des Meeresspiegelanstiegs ist.

Die Serie an neuen Publikationen zeigt eindrucksvoll, dass der Meeresspiegel an der US-amerikanischen Ostküste einer Vielzahl von natürlichen Einflüssen unterliegt, die im Maßstab von Stunden bis mehreren Jahrzehnte operieren. Es ist daher wenig sinnvoll, Verallgemeinerungen aus zu kurzen Zeitabschnitten herzustellen oder gar aus lokalen Entwicklungen die globale Situation ableiten zu wollen, ohne die natürlichen Prozesse vollständig verstanden zu haben.

Gehen wir nun nach Süden, in die Karibik. Auch hier wurden neue Forschungsergebnisse publiziert, die neue Zusammenhänge aufzeigen. Im Journal of Geophysical Research erschien im Juli 2012 der Artikel “Seasonal sea level cycle in the Caribbean Sea” von Ricardo Torres und Michael Tsimplis von der University of Southampton bzw. dem National Oceanography Centre in Southampton. Anhand von 27 Küstenpegeln aus der Region verschafften sich die Autoren einen Überblick über die saisonale Variabilität des Meeresspiegels. Torres und Tsimplis fanden, dass es in der Region im Jahr Veränderungen von zwei bis neun Zentimetern gibt. Ein hoher Betrag, wenn man bedenkt, dass der globale Meeresspiegelanstieg nur tiefe einstellige Millimeter beträgt.

Die gleichen Autoren brachten ein Jahr später, im Juni 2013 erneut ein Paper im Journal of Geophysical Research zu diesem Thema heraus („Sea-level trends and interannual variability in the Caribbean Sea”). Wiederum auf Basis von Küstenpegeln, konnten Torres und Tsimplis einen mittleren Meeresspiegelanstieg von 1,7 mm pro Jahr für die Karibik für die Zeitspanne 1993 bis 2010 ermitteln. Die Wissenschaftler beschreiben Einflüsse durch El Niño und die Südliche Oszillation (ENSO). Die Nordatlantische Oszillation (NAO) soll hingegen keine Rolle in der Karibik spielen. Ein besonders hoher Meeresspiegelanstieg wurde an der UNESCO-Weltkulturerbe-Lokation Cartagena gefunden, allerdings bedingt durch lokale vertikale Landsenkungen.

Schauen wir abschließend noch ein Stück weiter nach Süden, nach Uruguay. Im März 2013 publizierten Sergio Martínez und Alejandra Rojas von der Universidad de la República in Montevideo die Studie „Relative sea level during the Holocene in Uruguay” im Fachblatt Palaeo3. Die Forscher rekonstruierten, dass der Meeresspiegel vor 6000 Jahren höher als heute lag und seitdem allmählich absinkt. Erstaunlich.


Abbildung: Sallenger et al. 2012.

 

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